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Kultur: Wenn der Traktorreifen zur Schlangenhaut wird

In ihrer Ausstellung „friendly fire“ hinterfragen Astrid Hohorst und Oliver Braig auch unseren Lebensalltag

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In seinem Roman „Der erste Sohn“ lässt Philipp Meyer den hochbetagten Eli McCullough, Patriarch einer schwerreichen, texanischen Familien-Dynastie, zu seiner Urenkelin sagen, dass er vielleicht all die Pfeilspitzen, die er in den vergangenen Jahren aus einer Laune heraus und als Erinnerung an seine Zeit bei den Comanchen gefertigt hat, wahllos auf den Feldern der Ranch verstreuen werde. In tausend Jahren hätten dann die Historiker so einiges zu rätseln.

Wer die Ausstellung „friendly fire“ von Astrid Hohorst und Oliver Braig im Kunstraum des Waschhauses besucht, könnte sich ähnlichen Gedankenspielen hingeben, wenn er die Installation „Skin“ betracht. Auf den ersten Blick hängt da von der Decke im größten Raum der Galerie nur der fast farblose, leicht in sich gedrehte Abdruck eines Traktorreifens. Doch dann wird dieser Reifenabdruck zu einem Fossil, Millionen Jahre alt und vom Sonnenlicht der Jahrhunderte ausgeblichen. Rätselhaft und auch bedrohlich, wie ein Menetekel aus einer längst im Staub verschwundenen Vergangenheit, als die Welt noch solchen riesenhaften Lebewesen gehörte und an die jetzt nur noch dieses Fundstück erinnert. Ein Stück versteinerter Wirbelsäule vielleicht oder versteinerter Fetzen einer Riesenschlangenhaut. Unwillkürlich fragt man sich, vor welchem Rätsel ein Historiker in tausend Jahren möglicherweise steht, wenn er „Skin“ von Astrid Hohorst bei einer Ausgrabung aus dem Boden holen würde.

Astrid Hohorst und Oliver Braig, die sich vom gemeinsamen Studium aus Karlsruhe kennen und die seit 2011 in regelmäßigen Abständen zusammen Ausstellungen gestalten, geht es genau um diese Verwirrungen beim Betrachten ihrer Skulpturen, Objekte und Installationen. Denn durch diese Verwirrungen beim Betrachten von bekannten Gegenständen, die hier nicht in ihrem üblichen Kontext zu erleben sind, entstehen Assoziationen, die auch zu einem Hinterfragen führen können. Und vor allem ein solches Hinterfragen wollen Astrid Hohorst und Oliver Braig mit „friendly fire“ auslösen.

Da sind die beiden Kopfskulpturen von Oliver Braig. „Body of Weight“ hat er diese gesichtslosen Objekte genannt. Das Erstaunliche an ihnen ist, dass es die Gesichter gar nicht braucht, um sie ganz schnell dem jeweiligen Geschlecht zuzuordnen. Dazu braucht es scheinbar nur einen kleinen Unterschied in den Frisuren, um diese Zuordnung zu ermöglichen. Gleichzeitig aber sorgt die Gesichtslosigkeit für eine entsprechende Verwirrung beim Betrachter, ob diese Zuordnung nicht doch fehlerhaft sein könnte. Und schon ist man wieder an dem Punkt der Selbstreflexion, die zu einem Hinterfragen führen kann. Denn letztendlich hat man beim Betrachten von „Body of Weight“ nur auf erlernte Geschlechterklischees zurückgegriffen. Wenn dann auch noch klar wird, dass der scheinbar männliche Kopf größer ist, wird klar, wie subtil und mit einfachen Mitteln hier Oliver Braig mit unseren Denkmustern spielt und uns so den Spiegel vorhält.

Oder das schlichte Objekt „Lust“. Hierfür hat Braig die vier Buchstaben des Wortes, in hautfarbenem Epoxidharz, einfach nur übereinandergelegt. Und in dieser Verschmelzung, dieser Vereinigung, die auch etwas Zwanghaftes vermittelt, werden die Dimensionen, die wir heute oft mit körperlicher Lust verbinden, fühlbar.

Vielleicht ist „Lust“ das treffendste Objekt für den Ausstellungstitel „friendly fire“. Astrid Hohorst und Oliver Braig haben diesen Euphemismus aus der Militärsprache gewählt, der immer dann benutzt wird, wenn in einem Kampfeinsatz Soldaten durch den Beschuss aus der eigenen Truppe verletzt oder getötet wurden. Sie wollen sagen, dass auch wir in unserem alltäglichem Leben ständig unter einer Art „friendly fire“ stehen, weil der Druck mittlerweile, ob nun selbst oder von außen erzeugt, so groß geworden ist, dass einfach gefragt werden muss, wie wir leben oder wie wir gelebt werden. Und schon wenn sich die beiden an die Arbeit für ihre Kunstwerke machen, sie Bekanntes und schnell Einzuordnendes einer Transformation unterziehen, setzen sie sich selbst ein wenig unter Druck, weil sie beim Betrachter etwas auslösen möchten.

In den Installationen von Oliver Braig geschieht das sehr deutlich und schnell, wenn er die Buchstaben von „Lust“ zu einer Viergruppe verschmelzen lässt und so die Lust auch zur Last wird. Oder wenn er die Buchstaben von „You in a hole“ in einem Kreis anordnet und der Betrachter erst nach einer gewissen Zeit die Buchstaben zu diesem Satz ordnen kann, sich in dem Moment wie vor den Kopf gestoßen fühlt, weil da einer behauptet, dass das eigene Dasein einer Existenz in einem Loch ähneln könnte. Aber dann liest man die klare Botschaft „Make me feel“ und überlegt nicht lange, ob sich das nun auf einen selbst beziehen könnte. Besser ist es, dieses „Make me feel“ als Aufforderung an die Ausstellung selbst zu verstehen, denn in dieser Hinsicht hat sie viel zu bieten.

Da sind die zwei Arme von „In/Out“, die jeweils einmal auf ein rotes Kissen einschlagen, dann wieder aus diesem Kissen herausstoßen. Als einen Kreislauf von Energie möchte Astrid Hohorst ihr Objekt verstanden wissen. Eine Energie, die weder negativ noch positiv zu kategorisieren sei, sondern die nötig ist, damit überhaupt etwas Neues entsteht.

Faszinierender und anspielungsreicher ist ihre Auseinandersetzung mit den Hochsitzen von Förstern und Jägern. Bei Spaziergängen mit ihrem Hund in den Wäldern um Freiburg haben sie diese Hochsitze in den unterschiedlichsten Bauweisen immer mehr fasziniert. Wie diese Hochsitze mit der Natur mal mehr, mal weniger eine Symbiose eingehen, trotzdem immer aber deutlich ein Unverhältnis von Jäger und Gejagtem ausdrücken, eine Entfremdung von etwas Ursprünglichem. Auf neun Radierungen hat Astrid Hohorst verschiedene Hochsitze mal mehr, mal weniger in der Natur verschwinden lassen. Daneben, wie ein fossiles Gebilde, liegt ein nachgebautes Gerüst eines solchen Hochsitzes aus gekalkten Baumstämmen. Im Obergeschoss der Galerie sitzt dann ein übergroßer Hase bedrohlich auf der Plattform des Hochsitzes. Und so wird der Gejagte auf einmal zum Jäger.

Die Ausstellung „friendly fire“ wird am morgigen Donnerstag um 19 Uhr im Kunstraum in der Schiffbauergasse eröffnet. Die Ausstellung ist bis zum 24. August, mittwochs bis sonntags, 13-18 Uhr, geöffnet.

Dirk Becker

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