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Einfach nur spielen, aber wie! Holger Bülow als Christian in „Der Turm“.

©  HL Böhme/HOT

Kultur: Wenn Frau Beier anruft

Der Schauspieler Holger Bülow verlässt nach nur zwei Jahren das Hans Otto Theater Richtung Köln

Stand:

Sein Blick ist wie damals noch immer von offener Neugier. Auch sein Haar ist wieder zerzaust. Doch dieses Mal wirkt Holger Bülow abgekämpft, gleichzeitig auch aufgekratzt. Vor allem aber strahlt Holger Bülow ein Selbstbewusstsein aus, in dem viel Glück mitschwingt.

Damals, Ende September 2009, trafen wir uns für ein Begrüßungsgespräch. Holger Bülow war einer von 21 neuen Schauspielern, die zum Ensemble von Tobias Wellemeyer gehörten, dem neuen Intendanten am Hans Otto Theater. Es waren nur noch wenige Tage bis zur Premiere von Goethes „Clavigo“, in der Bülow den Titelhelden spielte. Sein Einstand auf der Potsdamer Bühne. Die Herbstsonne gab sich noch einmal selbstbewusst und wir saßen auf der schmalen Terrasse vor der Theaterkantine, ganz hinten, am letzten Tisch.

Jetzt, Anfang Juli 2011, die Sonne strotzt vor Sommerkraft, sitzen wir wieder auf dieser Terrasse, ganz hinten, am letzten Tisch. Bülow ist noch im Kostüm, hat gerade den Mercutio in „Romeo und Julia“ gespielt. Er ist verschwitzt, erschöpft und aufgekratzt. Zum letzten Mal hat er diesen Mercutio auf der Bühne im Hans Otto Theater gegeben. Darum reden wir dieses Mal auch über Abschied. Denn Holger Bülow verlässt Potsdam und geht nach Köln.

Schauspieler sind Wandervögel. Ein paar Jahre in einem Stadttheater, in einem Ensemble, dann werden sie unruhig. Denn Gewöhnung bedeutet sehr schnell auch Stillstand. Und wenn schon Gewöhnung für manchen Schauspieler unerträglich ist, kommt Stillstand einem Todesurteil gleich. Hat sich das Publikum an ihn gewöhnt und lässt sich von ihm nicht mehr überraschen, ist das so, als hätte man einem Raubtier Zähne und Krallen gezogen. So ein Schauspielermensch braucht Reibung, Impulse und gelegentlich Feuer. Neue Spielorte und neue Kollegen, neue Intendanten und Regisseure sorgen für diese Reibung, Impulse und das gelegentliche Feuer. Also ist es doch etwas ganz Selbstverständliches, dass Holger Bülow weiterzieht und ab der kommenden Spielzeit in Köln auf der Bühne steht. Ganz so einfach ist es dann wieder auch nicht.

Holger Bülow ist in den vergangenen zwei Jahren zu einem der prägendsten Schauspieler am Hans Otto Theater geworden. Sein Christian in der Erfolgsinszenierung „Der Turm“ ist von so feiner Wucht, einer so schleichenden und so nachhaltigen Erschütterung, dass man am Ende der Vorstellung einfach nur sitzen bleiben möchte. Still und dankbar. Sein Mosca in der Komödie „Volpone“ ist von einem Überschwang, einer ihn förmlich zu zerreißen drohenden Durchtriebenheit und Schlechtigkeit, dass man über diesen tobenden Satansknilch ständig jauchzen möchte und hofft, dass er seine Intrigen weiter und weiter und weiter spinnt. Und seine Mercutio in „Romeo und Julia“ ist von einer herrlich-dreisten Plappermaulhaftigkeit, dass man den Kerl am liebsten zu jeder Familienfeier mitnehmen würde. Auch auf die Gefahr hin, danach enterbt zu werden.

Bülow hat immer wieder begeistert. Er hat neugierig gemacht auf das, was noch so alles auf die Potsdamer Bühne kommt. Und er hat es geschafft, selbstverständlich zusammen mit den anderen Schauspielern, dass dieses Ensemble mit seinem Intendanten Tobias Wellemeyer nach all der Prügel in der ersten Spielzeit und trotz all dieser Prügel mit seinen Inszenierungen einen doch noch gepackt und begeistert, einen durchgeschüttelt und überzeugt und irgendwann an den Punkt getrieben hat, dass man beim Verlassen des Hans Otto Theaters zu sich sagte: Ja, das ist meine Truppe! Das ist mein Stadttheater! Und jetzt, wo dieses Ensemble endlich in der Stadt angekommen ist, wo man noch lange nicht genug von ihm hat, verlässt Bülow das Theater.

„Da schwingt viel Wehmut mit“, sagt Holger Bülow, während die Julisonne hartnäckig auf die schmale Terrasse scheint. Und fügt nach kurzer Pause hinzu: „Aber wenn Frau Beier anruft, dann überlegt man nicht lange.“

Dieses respektvolle „Frau Beier“ hörte man schon vor einigen Wochen, als einem zum ersten Mal von Bülows Weggang erzählt wurde. Danach der besorgte Anruf in der Pressestelle des Hans Otto Theaters und die Frage, ob an diesem Gerücht etwas dran sei. „Ja, leider“, sagte Pressesprecherin Christine Elbel. Und fügte vielsagend hinzu: „Aber wenn eine Frau Beier anruft!“

Karin Beier, seit 2007 Intendantin am Schauspiel Köln, ist also schuld daran, dass man nach gerade einmal zwei Jahren Spielzeit Holger Bülow verliert.

„Eine Dramaturgin aus Köln hatte sich hier in Potsdam die Turm-Inszenierung angeschaut“, sagt Holger Bülow. Kurz danach kam besagter Anruf von Frau Beier und die Frage, ob Holger Bülow in Köln vorsprechen möchte. Das war im Dezember. Und selbstverständlich reiste Bülow nach Köln und sprach vor. Vier Wochen später rief Frau Beier wieder an. „Da sagte sie mir, dass sie mich gern engagieren würde.“

So wie Holger Bülow davon erzählt, hat das wenig Sensationelles. Da liegt immer noch ein großes Staunen in seiner Stimme, obwohl das jetzt alles fast schon ein halbes Jahr her ist. Und da ist wieder der Holger Bülow, den man beim ersten Gespräch im September vor zwei Jahren kennengelernt hat. Ein stiller und bescheidener Mensch, den ein solches Interesse zuerst einmal zu überraschen scheint. Keiner, der sich in den Vordergrund drängen muss.

Gelegentlich hat man Holger Bülow in den vergangenen zwei Jahren wieder gesehen. Zufällig, in der Kantine des Hans Otto Theaters, während man auf einen anderen Schauspieler aus dem Ensemble für ein Gespräch wartete. Oft verzögerte sich das Probenende und so auch der Beginn des Interviewtermins. Und so saß man an seinem Tisch und beobachtete die Schauspieler. Manche von ihnen gaben sich, als stünden sie noch immer auf der Bühne. Da wurde Selbstbewusstsein vorgeführt, das den ganzen Raum ausfüllen konnte. Betrat Holger Bülow die Kantine, konnte man ihn schnell übersehen. Oder für einen Praktikanten halten. Nicht nur wegen des jungenhaften Aussehens des 32-Jährigen, sondern wegen der fast schon schüchternen Bescheidenheit, mit der er sich bewegte. Trat er auf die Bühne, glaubte man anfangs immer noch etwas von diesem Holger Bülow zu sehen. Doch schon nach wenigen Minuten schien das nur noch wie ein Trugbild. Dann plapperte da Mercutio, tobte Mosca oder kämpfte Christian.

„Die Rolle des Christian war wirklich ein Geschenk“, sagt Holger Bülow.

Es war am Ende der ersten Spielzeit, als Intendant Tobias Wellemeyer an Holger Bülow herantrat und ihm von dieser Rolle erzählte. Und dass er plante, ihn diesen Christian spielen zu lassen. „Ich hatte mir dann für den Sommer vorgenommen, den Roman von Uwe Tellkamp zu lesen“, sagt Bülow. Es sollte eines von mehreren Büchern werden. Doch bis wenige Tage vor der Premiere im vergangenen November hatte Bülow mit diesem 1000 Seiten zu tun. Ein Roman über ein Intellektuellenbiotop im Dresden der Vorwendejahre, so vielschichtig, so sprach- und bildgewaltig, dass einem schon bei dem Gedanken, das in ein Bühnenstück zu pressen, erhebliche Zweifel kamen. Doch Regisseur Wellemeyer und John von Düffel, der den Roman für diese Inszenierung bearbeitet hat, verjagten mit ihrer Lesart jegliche Zweifel. Und nicht nur das. Die Inszenierung von „Der Turm“ war der Befreiungsschlag für das Ensemble und seinen Intendanten nach all den schlechten Kritiken. Und endlich verstummten auch die Stimmen, die immer lauter gefragt hatten, ob Wellemeyer überhaupt der richtige Mann sei für das Hans Otto Theater.

„Wir haben das alles natürlich ganz genau mitbekommen“, sagt Holger Bülow. Doch haben die Schauspieler hinter ihrem Intendanten gestanden, an die Qualität der Stücke geglaubt. Trotz des heftigen Gegenwinds. Und gerade diese Zeit habe auch das Ensemble immer stärker zusammengeschweißt.

„Ich habe Tobias Wellemeyer viel zu verdanken“, sagt Holger Bülow. Und es braucht jetzt keine weiteren Erklärungen, in denen es um Vertrauen und Freiheit oder Förderung der individuellen Talente geht. Wellemeyer beobachtet seine Schauspieler genau und gibt ihnen dann die Rollen, die sie ausfüllen können. Wenn sie es können, wie Holger Bülow. Wellemeyer wird in diesem jungen Schauspieler etwas gesehen haben, was seiner Vorstellung von Christian entsprach. Und da ist es egal, dass Bülow in Freising bei München geboren wurde und sich das „Westkind“, wie Bülow sich selbst nennt, diese so fremde Ostwelt erst einmal erarbeiten musste. Und so haben bei den Proben die Schauspieler aus dem Osten denen aus dem Westen diese Welt näher gebracht, ist man sich so noch näher gekommen.

Bei so viel Begeisterung für die Potsdamer Zeit drängt sich dann doch die Frage auf: Was hat Frau Beier, was Herr Wellemeyer nicht hat?

Holger Bülow lacht. „Es ist mir nicht leicht gefallen“, sagt er. Aber Tobias Wellemeyer habe Verständnis dafür gezeigt. Das Schauspielhaus in Köln sei einfach größer. Dort werde zur Zeit mit das spannendste Theater in Deutschland gespielt. Und wenn man da das Angebot erhält, mitzumachen. Schon klar: Wenn Frau Beier anruft.

Ganz ehrlich, diesen Schauspieler wird man hier, bei unserer Truppe, in unserem Stadttheater sehr vermissen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist, dass Holger Bülow in der kommenden Spielzeit regelmäßig als Gast nach Potsdam für „Der Turm“ und „Volpone“ kommen wird. Da fällt einem der Abschied dann doch nicht ganz so schwer.

Dirk Becker

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