Von Dirk Becker: Wenn Harlekin sein Herz verliert
Anton Adassinsky und Derevo kehren mit „Harlekin“ zu den Wurzeln des mittelalterlichen Wandertheaters zurück
Stand:
Es war ein gutes, ein arbeitsreiches Jahr für Anton Adassinsky. An fünf großen Produktionen hat der im sibirischen Krasnojarsk geborene Tänzer mitgearbeitet und mitgewirkt. Und er hat die Rolle des Mephistos in der Faust-Verfilmung des bekannten russischen Regisseurs Alexander Sokurov übernommen. Alles mit viel Aufwand, Technik und Unterstützung. Es kam der Punkt, da wurde Anton Adassinsky das alles zu viel.
Zurück zu den Wurzeln, sagt Anton Adassinsky. Das sei der Weg gewesen, den er gehen wollte. Dabei entstanden ist das Tanzstück „Harlekin“, das Anton Adassinsky zusammen mit Elena Yarovaya am heutigen Freitag, morgen und am Sonntag in der „fabrik“ zur Aufführung bringen wird.
Den Weg, den er für dieses Stück gegangen ist, war ein Weg zurück zur Einfachheit des mittelalterlichen Wandertheaters. Eine kleine Holzbühne auf einem Marktplatz beim italienischen Karneval. „Hunderte Leute, die trinken und tanzen, grölen und feiern“, so Adassinsky in einer Probenpause in der „fabrik“. Um als Schauspieler und Tänzer deren Aufmerksamkeit zu gewinnen, sie gar zu verzaubern, muss etwas Besonderes geschehen. Nun ist es nicht so, dass Adassinsky mit seinem Theater Derevo noch um Publikum und deren Aufmerksamkeit kämpfen muss. Zuletzt waren Derevo (russisch: Baum) während der Potsdamer Tanztage im Frühjahr mit ihrem Stück „Islands“ in der „fabrik“ zu Gast. Und wie bei den zahlreichen Auftritten in den Jahren zuvor, hatten sie auch mit „Islands“ beeindruckt.
Doch das zählt nicht für Adassinsky. Jeder Tag ist anders, jedes Mal spielt er vor einem anderen Publikum und so ist „Harlekin“ jedes Mal auch ein neues, ein anderes Stück.
Mit dem lustigen Narren, mit dem heute oft der Harlekin in Verbindung gebracht wird, hat die Figur von Anton Adassinsky nichts zu tun. Für ihn ist dieser Harlekin eine mythische Gestalt. Er bezieht sich auf Dantes „Göttliche Komödie“, wo ein Dämon namens Alichino auftaucht. Sein Gesicht ist schwarz, weil er wie Phönix aus der Asche aufgestiegen ist, beschreibt Adassinsky diesen Alichino. Mit abgebrochenem Horn auf dem Kopf, einem langen Fuchsschwanz und einem Stock in der Hand, der für ihn Schwert, Phallus, aber auch Laute sein kann. Dieser Alichion ist für Adassinsky ein Wesen, das das Leben der Menschen dirigiert, beeinflusst, jedoch niemals ein Teil davon ist. In seinem Stück „Harlekin“ stürzt er ihn nun ins Leben und lässt ihn das größte Glück und Unglück überhaupt widerfahren. Sein Harlekin verliebt sich, verliert sein Herz und muss so weiterleben.
Für Adassinsky war es wie ein Neuanfang, als er mit der Arbeit für „Harlekin“ begann. Keine Hilfsmittel, mit denen sich Fehler vertuschen lassen, nur das eigene Können und die Überzeugungskraft der Geschichte, die über alles entscheiden. Da er in diesen Harlekin auch sich selbst sieht, durch diese Figur viel Persönliches preisgibt, hat er auf einmal eine Blöße gespürt, die auch verletzlich macht. Aber auch überzeugend. Denn darum geht es. Das Publikum überzeugen. Darum beginnen Adassinsky und Elena Yarovaya in der Rolle der Pierretta „Harlekin“ auch nicht nach Drehbuch, sondern mit einer Improvisation. „Ich will zuerst das Publikum, deren Stimmung spüren“, sagt Adassinsky. Erst dann soll die gemeinsame Reise durch die zahlreichen Szenen beginnen.
Wer die Stücke von Derevo kennt, weiß, dass auch „Harlekin“ eine Reise reich an Bildern, Musik und wilder Körpersprache sein wird. Eine Reise, in dem das Lustige immer wieder vom Albtraumhaften gejagt wird. Eine Reise zweier Tänzer und Schauspieler zurück in eine längst vergangene Zeit. Und auch wenn das Publikum fasziniert und schweigend dem Geschehen folgt, werden Anton Adassinsky und Elena Yarovaya spielen, als gelte es die Trinkenden und Feiernden beim mittelalterlichen Karneval auf einem Marktplatz in Italien zu fesseln und zu begeistern. Dirk Becker
Derevo mit „Harlekin“ am heutigen Freitag und morgen, jeweils 20 Uhr, und Sonntag, 6. Dezember, 16 Uhr, in der „fabrik“, Schiffbauergasse
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: