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Kultur: Wenn ich ein Vöglein wär“

Trotz Männermangels singt sich der neue Gospel- & Popchor für Anfänger ein

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Trotz Männermangels singt sich der neue Gospel- & Popchor für Anfänger ein Von Michael Kaczmarek Das Wartezimmer ist mit drei Frauen fast gefüllt. Die eine Dame blättert in ihrem Terminkalender, die andere in einer Zeitschrift und Dame drei inspiziert die Einrichtung. Kein Zahnarztbohrer trifft den Nerv, sondern Klavierakkorde erklingen, und langsam erfüllen Stimmen den Nebenraum. Stefanie Polster, ausgebildete Sängerin und Leiterin des Gospel- & Popchors für Anfänger an der Freien Musikschule Potsdam bittet alle in den Probenraum und die dritte Chorstunde kann beginnen. Fünf Frauen sind neu in den Kurs gekommen, stellen sich kurz vor und los geht“s. Zur Auflockerung werden die Arme nach oben geschwungen, „tief Luft holen“ und wieder fallen gelassen „und ausatmen“. Dann noch hüpfen, bis das Zimmer vibriert und ein paar „Juuu“-Rufe und King-Kong-Trommeln auf die Brust, um die Stimme aufzuwärmen. Von Gospel und Pop ist auf den vorbereiteten Notenblättern zwar nichts zu finden, aber hier treffen sich elf Frauen und zwei Männer mittleren Alters, um sich diesem Chorgesang zu nähern. Bevor die Stimmen in einigen Monaten in den Pophimmel steigen werden, will die 24-jährige Stefanie an der Aussprache arbeiten, die Stimmen kräftigen und aufeinander abstimmen. Während manche der Chorfreunde bereits tonsicher Noten singen, versucht die Mehrzahl der Anwesenden den eigenen Stimmumfang auszutesten und so gut wie möglich, den vierstimmigen Kanon „Tu nur das Rechte“ umzusetzen. Stefanie, Studentin an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, dirigiert die frei fliegenden Stimmen und versucht sie im Kanon zu bündeln, lässt dazwischen das Klavier erklingen, damit sich die Sangesfreunde neu orientieren können. Nach 30 Minuten ist sie zufrieden. Gelernt hat Stefanie Gesang für Jazz und Pop an einer Berufsfachschule in Regensburg und sich bereits mehrfach im Dirigieren von Chören erprobt. Ihren Potsdamer Musikschülern händigt sie die zweite Tagesaufgabe aus: „Wenn ich ein Vöglein wär“ und auch zwei Flügel hätt“...“ Zu Beginn scheinen allerdings beide Flügel gebrochen zu sein. Kein Vöglein will sich mit dem Sopran in die Lüfte erheben. „Denkt einfach hoch und versucht zu lächeln“, ermuntert Stefanie. Die sechs Sopransängerinnen lächeln, summen sich ein und das Vöglein steigt langsam in die Lüfte. Dann kommt die Alt-Fraktion, lässt sich erst von den zwei Tenören beeinflussen und findet dann den eigenen Klang. Anders als sein jetzt schreibender Mitsänger hat Markus keine Probleme, den Ton zu treffen. „Ich beschäftige mich schon immer mit Musik, spiele Instrumente und habe auch in einem Chor gesungen.“ Aufgehört hat Markus, weil es ihm damals nicht mehr gefallen hat. Jetzt ist er in dem noch sich bildenden Chor und scheint gut gelaunt und zufrieden. Er summt beim Alt mit und freut sich auf seinen erneuten Einsatz. Auch wenn das Vöglein in den Lüften stark ins Schleudern gerät, lächeln die Sangesfreunde und versuchen, den Dirigieranweisungen von Stefanie zu folgen. Grundkenntnisse im Notenlesen sind nicht als Bedingung formuliert und doch ebenso wichtig wie ein gestimmtes Gehör, um den musikalischen Amateurchor in den nächsten Wochen zu einem Gospel- & Popchor für Anfänger zu entwickeln. „Der Chor ist offen für alle. Vor allem Männer fehlen uns noch“, sagt Stefanie. Sollten sich weitere Frauen für den Kurs entscheiden, geht es mit einem zweiten Kurs weiter. „Das ist ein langfristiges Projekt und wie es sich entwickelt, hängt vor allem von den Teilnehmern ab.“ Ein Freizeitchor soll vor allem Spaß machen, ist der übereinstimmende Gedanke. Langfristig kann der Chor sich auch auf kleinere Auftritte vorbereiten, beim Schulfest oder bei einem Vorspielabend in der Musikschule. Bis dahin müssen die einzelnen Stimmen noch weiter erarbeitet und auf einander abgestimmt werden. So auch bei der letzten Gesangsübung des Abends: „Lass nur die Sorge sein.“ Sorglos erklingen die Stimmen, Stefanie hat Mühe, sie wieder in geordnete Bahnen zu bekommen, dann wird noch ungewollt gelungen improvisiert und ein stimmiges Ende für den Kanon gefunden. Zufrieden holen sich die Musikanten bei Stefanie noch den einen oder anderen Rat, lassen sich die Tagesaufgaben kopieren, um vielleicht zu Hause weiter zu üben oder das Blättern im Terminkalender und der Zeitschrift durch das Notenlesen am nächsten Mittwoch zu ersetzen. Gospel- & Popchor für Anfänger, mittwochs 19.30 bis 21 Uhr in der Freien Musikschule Potsdam, Charlottenstraße 109.

Michael Kaczmarek

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