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"Werther"-Premiere im Hans-Otto-Theater: Wenn Liebe nur ein Wort bleibt

Jens Heuwinkel bringt Kristo agors Adaption von Goethes „Werther“ am Donnerstag im Hans Otto Theater zur Premiere. In einer verdichteten Interpretation des Stoffes lotet er dabei zwei unterschiedliche Lebensentwürfe aus: Die Kompromisslosigkeit des Künstlerlebens und das pragmatische Aushalten von Unwägbarkeiten.

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Diesem Anfang wohnt das Chaos inne, die Zerstörung. All das, was Werther geschrieben hat, all die Blätter, die er mit Worten gefüllt hat, liegen zerstreut auf dem Boden. Seines Lebens hat er sich schon entledigt, den Weg ins Jenseits aber hat er noch nicht gefunden. Im Purgatorium, im Fegefeuer also, ist Werther angekommen. Hier steht er, ein Reisender zwischen den Daseinsformen, der noch einmal zurückschaut. „Das ist das letzte Mal“, sagt Werther.

„Werther. Sprache der Liebe“ hat Kristo agor seine Adaption des berühmten Briefromans von Johann Wolfgang von Goethe überschrieben. Am morgigen Donnerstag hat dieses Kammerstück für drei Schauspieler im Hans Otto Theater Premiere.

„Sehr anders, aber auch sehr genau an Goethe“, sagt Regisseur Jens Heuwinkel über die Adaption von Kristo agor. Jedes Wort in diesem verdichteten Text sei aus Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ übernommen. Und gerade dadurch sei etwas Besonderes, etwas Eigenes entstanden. Zweimal hat sich Heuwinkel, der nach seiner Regieassistenz in der vergangenen Spielzeit mit „Am Horizont“ von Petra Wüllenweber sein Regiedebüt am Hans Otto Theater gab, im Vorfeld mit Kristo agor getroffen, um über seinen Text zu reden. Denn wie Goethes ist auch agors „Werther“ eine Herausforderung, gehe es bei jedem Satz, bei jedem Wort darum zu wissen, zu verstehen, was da genau gemeint ist.

Im Herbst 1774 veröffentlichte Goethe seinen Briefroman, in dem er vom jungen Rechtspraktikanten Werther erzählt und dessen Freitod auch wegen seiner hoffnungslosen Liebe zu Lotte, die Albert heiraten wird. Neben dem „Faust“ zählt „Die Leiden des jungen Werthers“ zu den bekanntesten Werken Goethes und gilt als Schlüsselroman des Sturm und Drang. Nach seinem Erscheinen wurde Goethe der Vorwurf gemacht, er würde mit seinem Roman den Selbstmord verherrlichen, vor allem weil einige Leser nach der Lektüre den Freitod wählten.

„In einer gewissen Weise ist dieser Roman selbstmordverherrlichend, aber er fordert nicht zum Selbstmord auf“, sagt Heuwinkel. Vor allem werden hier zwei Lebensentwürfe gegenübergestellt. Auf der einen Seite ist es die Vorstellung Werthers von einem Künstlerleben, das sich vom oberflächlichen Stadtleben abwendet, sich allein in voller Hingebung zur Natur findet und keinerlei Kompromisse duldet. Lässt sich dieses Ideal nicht verwirklichen, gilt das eigene Leben nichts mehr. Auf der anderen Seite die pragmatische Sichtweise, die das Leben als ein Aushalten von Unwägbarkeiten versteht, das immer nur mit Kompromissen zu führen ist. Dafür steht Albert. Zwischen diese beiden gerät Lotte, die sowohl von Werther als auch von Albert fasziniert ist. Am Ende entscheidet sie sich für das Aushalten, vielleicht auch weil ihr die Kompromisslosigkeit, die im Schwärmen Werthers liegt, ab einem gewissen Punkt vor allem Angst macht.

In neun Kapiteln erzählt Kristo agor seinen „Werther“, als Rahmen für diese Unwägbarkeiten, die noch verschärft werden durch die Möglichkeiten mit dem trügerischen Namen Liebe, dient das Purgatorium. Das hier kein gutes Ende zu erwarten ist, am Schluss alle zerstört sind, das ist von Anfang an klar.

Mit den Kostümen, vor allem aber mit der Sprache werde deutlich, so Heuwinkel, dass Lotte, Albert und Werther im 18. Jahrhundert verwurzelt sind. Doch das Thema, das hier verhandelt wird, die Entscheidungen in den Irrungen und Wirrungen um die Liebe, die sei zeitlos und in Goethes Sprache noch immer unheimlich kraftvoll. Mit den Ensemblemitgliedern Juliane Götz und Florian Schmidtke und dem Schauspielstudenten Florian Kropp, der kurz vor seinem Abschluss an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ steht, hat Jens Heuwinkel die Schauspieler gefunden, die diese Sprache auch ins Heute tragen. Die Entscheidung für den 23-jährigen Florian Kropp in der Rolle von Werther fiel schnell nach einem Vorsprechen. „Sehr sprachbegabt, sehr kraftvoll, natürlich und zeitgemäß“, so Regisseur Heuwinkels Einschätzung.

Gut 75 Minuten wird die Inszenierung von „Werther. Sprache der Liebe“ dauern. Eine kurze, sprachlich so intensive Zeit, die sich acuh an ein junges Publikum ab 14 Jahren richtet. Eine Sprache und ein Spiel mit der Liebe, in die auch Videoeinspielungen und Musik einfließen werden. Doch auch wenn da immer wieder die Schönheiten und Möglichkeiten der Liebe aufleuchten, die Sprache der Liebe muss machtlos bleiben, wo die Zerstörung von Anfang an mit dieser Kompromisslosigkeit wütet.

Premiere von „Werther. Sprache der Liebe“ am morgigen Donnerstag, 18 Uhr, in der Reithalle in der Schiffbauergasse

Dirk Becker

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