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Wie sich entscheiden? Das ist die Frage in „summertime“.

© Hanna Griepentrog

Kultur: Wenn nur noch ein bitterer Nachgeschmack bleibt Der Jugendclub des Hans Otto Theaters hinterfragt in „summertime“ jedes Lebenskonzept

Leben. Was bedeutet das eigentlich?

Von Sarah Kugler

Stand:

Leben. Was bedeutet das eigentlich? Und viel wichtiger: Was bedeutet es heute? In diesem Jahrtausend, in dieser Welt? In einer Welt, die so viel verspricht, so viele Möglichkeiten bietet und gleichzeitig so viel fordert, so viel einschränkt. In einer Welt, in der sich neue Rollenbilder formen, persönliche Kommunikation zur Rarität wird und in der die große Karriere schon mit 20 beginnen muss. Wie geht die junge Generation mit dieser Welt um, die ihr so viel Raum an Entfaltung bietet, dass sie daran zu ersticken droht? Mit diesen Fragen setzt sich „summertime“, die aktuelle Produktion des Jugendclubs des Hans Otto Theaters, auseinander. Am Samstag fand die Premiere des Stückes unter der Leitung von Rike Nölting und Johannes Lotze in der Reithalle des Hans Otto Theaters statt und rüttelte dabei an so manchem Lebensfundament.

Ikarus (Larius Phoulivong) hat sich selbst verloren. Er und seine Freundin (Antonia Cojaniz) haben sich auseinandergelebt und kaum noch etwas gemeinsam. Er spricht von Weltverbesserung, sie sucht das Glück im Kleinen. Die Beziehung steht kurz vor dem Ende. In einer Affäre mit einer engagierten jungen Frau (Marisa Westermeyer) sucht er Abwechslung und einen neuen Lebensinhalt. Doch auch zwischen erotischen Liebesgedichten und Demonstrationen für die gute Sache findet er keine wirkliche Befriedigung. Als er herausfindet, dass er nicht der einzige Mann im Leben seiner Affäre ist, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Nebenbuhler (Lukas Leibe) und Ikarus kehrt zu seiner Freundin zurück. Doch sie sieht keinen Sinn mehr in der Beziehung und verlässt ihn endgültig. Nun steht er vor der schwierigen Aufgabe, seinen Platz in der Welt einzunehmen und herauszufinden, was er wirklich erreichen möchte.

Ikarus Unsicherheit ist im gesamten Stück präsent. Schon das zweigeteilte Bühnenbild zeigt, wie er zwischen den verschiedenen Lebensangeboten seiner Welt hin- und herschwankt. Auf der einen Seite ist dort die glattpolierte Variante in Form einer ganz in weiß gehaltenen Küche. Der Esstisch für zwei, kahle Wände, ein glänzender Kühlschrank. Kalte Perfektion im Kleinen. Auf der anderen Seite die exotische Alternative: ein gelbes Kuschelsofa, daneben eine große Stehlampe im Retrostil, die warmes Licht verteilt. Überall liegen Bücher und an der Wand hängen hippe Poster. Es ist eine andere, verführerische Welt, die mehr verspricht, als die alltägliche Routine. Um das noch zu unterstreichen, räkelt sich eine junge Frau im langen roten Kleid auf dem Sofa, während sich Ikarus und seine Freundin nebenan am Esstisch anschweigen. Allein diese erste Szene bewirkt sehr viel beim Publikum. Die unangenehme Stille, die unausgesprochenen Vorwürfe, die um sich greifende Orientierungslosigkeit des jungen Mannes, die er noch versucht, mit einem Lächeln zu überspielen, streut eine Unbehaglichkeit aus, die fast körperlich spürbar wird. Und dieses Gefühl löst sich auch nicht auf. Denn das Stück begnügt sich nicht damit, Ikarus’ Geschichte zu erzählen, sondern hinterfragt auch alle möglichen Lebenskonzepte. Dafür treten die Schauspieler immer wieder aus den Szenen heraus und sprechen in ein, am Bühnenrand aufgestelltes Mikrofon. Oft sind es nur kurze Sätze oder Fragen, welche die jungen Darsteller hineinsprechen, aber sie reichen aus, um die richtigen Denkanstöße zu geben. Ist es richtig, die Welt im Großen verändern zu wollen, dabei aber sein Privatleben zu opfern? Ist es sinnvoll, an Demonstrationen teilzunehmen, ohne den genauen Hintergrund zu kennen? Ist unsere Realität der Liebe förderlich?

Das Stück „summertime“ kritisiert dabei die Lebenseinstellung einer Generation, die ihren Sinn immer im Besseren, Höherem und Schönerem sucht, sich dabei aber nur in großen Worten verliert, statt wirklich etwas zu bewirken. Die Inszenierung deckt dabei viele kleine Lebenslügen auf, die dazu beitragen, dass sich Menschen wie Ikarus so verloren fühlen: Politische Korrektheit ist gut und schön, aber nicht, wenn darunter die eigene Meinung begraben wird. Kulturelle Bildung ist wichtig, darf aber nicht zum Tarnmantel vor der Welt werden. Liebe bedeutet für viele Menschen nur noch virtuelle Pseudofreundschaften, Hollywoodfilmen nachempfundene „Lovestories“ und stilisierte Sexvorstellungen wie im Porno. Vor allem aber zeigt das Stück, dass es falsch ist, sich allgemein anerkannten Lebensvorstellungen zu unterwerfen, nur weil sie einfach und bequem sind. Im Prinzip prangert „summertime“ alles Eingefahrene, Überzogene und Künstliche dieser Welt an und macht dabei auch vor sich selbst keinen Halt. Die übertriebene Ernsthaftigkeit des Theaters mit seinen einseitigen Rollenzuweisungen wird genauso hinterfragt wie die maßlose Spaßgesellschaft der Realität. Das Stück nimmt jedem Lebenskonzept seinen Wohlfühlfaktor und hinterlässt dabei einen bitteren Nachgeschmack auf der Zunge. Und genau der ist es, der nachhaltig bleibt, sich verteilt und zum Denkanstoß wird. Denn „summertime“ ist kein Wohlfühlstück, das einem Sätze wie „Wenn du nur an dich glaubst, kannst du alles schaffen!“ mit auf den Weg geben möchte. Es möchte eher fragen: „Sag mal, merkst du noch was?“ und das Publikum dabei schütteln und rütteln, bis es aus seiner Starre aufwacht und begreift, was das Leben wirklich für jeden Einzelnen bedeutet. Sarah Kugler

Wieder am Sonntag, dem 12. Januar, um 18 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 118

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