Kultur: Wenn Sprache atemlos macht
Während der 8. Brandenburgischen Literaturnacht kommen 16 Schriftsteller zu Wort
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Literatur kann atemlos machen. Und je unspektakulärer sich ihre Sprache gibt, umso packender, umso überwältigender ist oft die Wirkung. Ferdinand von Schirach ist ein Meister dieses Effekts: „Der Mann umfasste Becks Messerhand und schlug dabei in seine rechte Armbeuge. Der Schlag änderte die Richtung des Messers, ohne den Schwung zu unterbrechen. Die Klinge beschrieb einen Bogen. Der Mann dirigierte die Spitze zwischen Becks dritter und vierter Rippe, Beck stach sich selbst in die Brust. Als der Stahl die Haut durchdrang, schlug der Mann hart auf Becks Faust. Alles war eine einzige Bewegung, fließend, fast ein Tanz. Die Klinge verschwand vollständig in Becks Körper. Sie zerschnitt sein Herz, Beck lebte noch vierzig Sekunden. Er blieb stehen und sah an sich herunter. Er hielt den Griff des Messers umklammert und schien die Tätowierung auf seinen Fingern zu lesen. Er hatte keine Schmerzen, die Synapsen der Nerven übermittelten keine Signale mehr. Beck verstand nicht, dass er gerade starb.“
„Notwehr“ heißt diese Erzählung aus Ferdinand von Schirachs Debüt „Verbrechen“ (Piper Verlag, 16,95 Euro), aus dem der in Berlin lebende Anwalt und Strafverteidiger am Samstag bei der 8. Brandenburgischen Literaturnacht lesen wird. Allein 16 Schriftsteller werden dann im Waschhaus zu Wort kommen, darunter die Potsdamer Schriftstellerinnen Julia Schoch, Antje Ravic Strubel, Christine Anlauff und Anje Wagner. Daneben wird Reinhard Stöckel aus seinem Jahrhundertpanorama über den großväterlichen „Lavagänger“, Rolf Schneider aus seinem autobiographisch gefärbten Roman „Marienbrücke“ über Glaube und Irrtum des 20. Jahrhunderts und Joachim Walther aus „Himmelsbrück“ über eine außergewöhnliche Liebe in der DDR zu Beginn der bleiernen 80er Jahre lesen.
„Verbrechen und andere Vorkommnisse“ lautet das Motto des fünfstündigen Literaturmarathons, in dem der Titel von Schirachs Debüt aufscheint. Ob von den Organisatoren des Brandenburgischen Literaturbüros, des Literaturladens Wist, des Waschhauses und des Hans Otto Theaters bewusst oder unbewusst gewählt, ist dieser Hinweis als Fingerzeig zu verstehen. Denn Ferdinand von Schirachs „Verbrechen“ ist eine der herausragendsten Neuerscheinung in diesem Jahr.
Sieben Erzählungen, die von Schirach in der klassischen Form der Kurzgeschichte mit entschlacktem, fast schon lakonischem Stil erzählt werden. Ob ein angesehener Arzt nach 40 Jahren Ehe seine Frau mit einer Axt erschlägt oder ein Museumswärter an seinem letzten Arbeitstag eine wertvolle Skulptur zertrümmert, weil sie ihn zu den absonderlichsten Obzessionen getrieben hat. Ob der Diebstahl einer unscheinbaren Teeschale eine unbeschreibliche Gewaltorgie auslöst oder wie in „Notwehr“ ein unaufälliger Wartender auf dem Bahnhof sich als Auftragsmörder entpuppt – diese so leicht und fast beiläufig erzählten Geschichten packen den Leser so fest, dass man sich immer wieder dabei ertappt, wie man bestimmte Absätze immer und immer wieder liest. Denn was „Verbrechen“ neben der Erzählkunst von Schirachs so fesselnd werden lässt, ist die Möglichkeit des Wahren in den Geschichten. Denn der Anwalt und Strafverteidiger von Schirach spielt sehr offensichtlich mit der Möglichkeit, dass seine Erzählungen auf wirklichen, von ihm betreuten Fällen basieren.
Eine andere Form der Atemlosigkeit verspricht der Auftritt der Literaturkritikerin Sigrid Löffler und des ehemaligen HOT-Schauspieler Moritz Führmann, die die Tagebücher des ungarischen Schriftstellers Sándor Márai vorstellen werden. Márai, Autor von Romanen wie „Die Glut“ oder „Die vier Jahreszeiten“, hatte sich im Februar 1989, im Alter von 89 Jahren im amerikanischen Exil das Leben genommen. Neben den Romanen hinterließ er seine sorgfältig, fast schon besessen geführten Tagebücher, die nun in einer neuen Edition im Piper Verlag herausgegeben werden (Band 1 und 2, je 48 Euro) und den unübertroffenen Rang Márais’ als klaren und kompromislosen Beobachter seiner Zeit zeigen. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hatten den erfolgreichen Romancier zu dem Entschluss kommen lassen, sich vorerst nur noch im Tagebuch zu äußern. Es ist wenig Privates darin zu lesen. Doch der so analytisch scharfe und seinen Zeitgenossen gegenüber oft gnadenlose Blick stellt so viel Falschheit und Verlogenheit im menschlichen Handeln bloß, dass einem immer wieder der Atem stockt. Dirk Becker
Die 8. Brandenburgische Literaturnacht beginnt Samstag, 18 Uhr, im Waschhaus, Schiffbauergasse. Eintritt an der Abendkasse kostet 13, ermäßigt 10 Euro
Dirk Becker
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