zum Hauptinhalt

Kultur: Wenn „WOLF...gang“ hungrig ist

Kinder sind das beste Theaterpublikum. Kinder sind unberechenbar bis grausam, je kleiner um so mehr.

Stand:

Kinder sind das beste Theaterpublikum. Kinder sind unberechenbar bis grausam, je kleiner um so mehr. Beides konnte man am Samstag im T-Werk beobachten, als das Berliner Puppen-Theater „Spectaculum“ sein Heilig-Abend-Special, das „Weihnachtsrotkäppchen“ für Kinder ab dem dritten Lebensjahr samt Eltern in Szene setzte. Mehr als lobenswert, wenn das T-Werk seit Ende November gleich siebzehnmal zum „Kindertheater“ rief. Die Kleinen erlebten so „Zwerg Nase“, sahen einen Igel mit Identitätsproblemen, die „Prinzessin Allerleirauh“ und mussten sich gar bei „florschütz & döhnert“ im zarten Alter ab zwei Jahren mit gewissen Gravitationsphänomenen auseinandersetzen. Sehr wahr, Kinder sollen immer Vorfahrt haben! Das dachte sich vielleicht auch der böse Wolf in Grimms Märchenklassiker „Rotkäppchen“, obwohl zuerst deren Großmutter zu beseitigen war. Aber die schlief ja sowieso ihren Tiefrausch aus, die zweite Flasche „Klosterfrau“ war wohl zu viel gewesen.

Was heißt hier aber böser Wolf? Isegrimm war einfach nur hungrig im Märchenwald, und Hunger macht halt erfinderisch. Eigentlich sollte die alte Dame ja bei Mutter und Tochter Schmidt (alias „Rotkäppchen“) zum Weihnachtsbesuch kommen, aber der gefiederte Bote brachte mit seiner Absage auch eine Geschichte ins Rollen, welche die Kleinen erfreulicherweise bereits aus dem Effeff kannten. Zu spät kam die Warnung des Jägers, ein Wolf sei im Winterwald gesehen. Auch das Wildschwein bekam das große Zittern, als der graue Langgeschwänzte – „Ich bin der WOLF...gang!!“ – auftauchte, um die Kinder so zu betören, bis sie soweit waren, ihm den Vogel-Boten auszuliefern, hätte es der gelernte Puppenspieler Christian Bahrmann nicht durch seine „Führungskünste“ verhindert.

Bahrmann spielte in einem ganz traditionellen Puppen-Guckkasten mit traditionellen Handpuppen Szene um Szene. Auffällig an dieser dreiviertelstündigen Inszenierung von Harald Preuß war die Lebhaftigkeit des Spiels, die aktuellen Anspielungen von Wildschwein-Döner bis zum DFB-Meister WOLFS-Burg, das eindrucksvolle Improvisationstalent des Solisten, der frische Atem dieser Vorführung am Vormittag, mit und ohne Musik. Wenn Rotkäppchen etwa den „Wolf...Gang“ fragt, wie eine Blumenwiese denn Mitte Dezember überhaupt möglich sei, erwiderte der graupelzige Zausel – die einzige Figur mit Untertext – kurz „Gehört doch zum Märchen“. „Ach so“, die Antwort von Rotkäppchen und fertig. Als er sein Konterfei mit der Warnung vor dem Wolf an einem Baum entdeckt, macht er den Osterhasen daraus. Ganz schön clever! Werktreue vorausgesetzt, passt in so ein schönes Märchen eben jede Menge Gegenwart hinein. Für das gute Niveau dieser werkgetreuen Inszenierung spricht letztlich auch, wie geschickt Christian Bahrmann „verpackte“, was Erwachsene so gern grausam nennen: „Hauptspeise Großmutter, Rotkäppchen als Kompott“ war dem Kinderpublikum weder Graus noch Problem. Nach der OP-Narkose – Rotkäppchen hatte sich dummerweise zwischen Milz und Leber verklemmt – weckten die Kinder den Grauen, der Jäger führt ihn hinweg, wie man das von Prokofjew her kennt.

„Licht-aus-Film-an!“, skandierte ein Knirps zu Beginn. Am Schluss trat der Puppenspieler hervor, und Erwachsene wie Kinder durften dann „olle Wolf...Gang“ kraulen und streicheln, was er sich mit allerlei kindlichem oder erwachsenem Wohllaut auch gern gefallen ließ. Uaaah! Gerold Paul

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })