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Kultur: Wenzels eigene Wahrheiten

Der charmante Liedermacher stellte im Lindenpark die aktuelle CD „Glaube nie, was ich singe“ vor

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Wenzel lügt. Der Liedermacher gibt es offen zu: Seine aktuelle CD heißt „Glaube nie, was ich singe“. Den Titel hat er sich gut überlegt. „Es ist einfach, ein Lied zu schreiben“, erklärt er im halb gefüllten Lindenpark, „aber für CD-Titel brauche ich Jahre“. Das Publikum versteht die Übertreibung, es hängt an seinen Lippen, vom ersten Augenblick seines Auftritts bis zum späten Ende um Mitternacht. Dazwischen zeigt Wenzel alles, was er seit 1978 auf der Bühne getrieben hat: als Liedermacher, als Clown, als Geschichtenerzähler, als Musiker und Mensch, der nicht vor, sondern mit seinem Publikum spielt und feiert. Wenzel lügt natürlich nicht wirklich, er schafft nur seine eigenen Wahrheiten. Die Leute im Lindenpark folgen ihm gern, in den Ansagen und kleinen Geschichten zwischen den Liedern gibt es viel zu lachen, sie machen Mut. Wenzel hat zu allem überraschend einfache und überzeugende Ideen: Ob zum einsamen Geburtstag, zur Weltpolitik oder zum Tod. Um sich selbst zum Namenstag zu überraschen, schreibt Wenzel ein Lied, dann trinkt er ganz viel, um zu vergessen, dass es von ihm stammt, erzählt er voll ansteckender Freude. Oder: Die „Globalisierung“ müsste es doch möglich machen, unsere Regierung gegen eine billigere einzutauschen“, schlägt er schelmisch vor, „vielleicht gegen die polnische“. Der „Globalisierungstango" hört sich so an: „Es fallen die Grenzen / Das Geld kann marschieren / Spielt auf zu Freudentänzen / Die Verlierer verlieren“. Trotz harter Realitäten wird Wenzel nie bitter. „Ich weigere mich, unter dieser Regierung arm zu sein“, ruft er lachend. Dann schlägt er auf dem Akkordeon einen Tanztakt an und die riesig große weiße Tuba erinnert mal an ein ausgelassenes Balkan-Fest, mal an eine Zirkuskapelle. Musikalisch schunkelt er innerhalb eines Songs zwischen vielen musikalischen Welten: Chanson, Tango, Polka, Rockmusik und etwas Soul. Seine Mitmusiker drängen sich selten vor, sie unterstützen Wenzels rauhe Stimme. Die Musik ist einfach und mitreißend. In den ersten Reihen wird ständig getanzt, weiter hinten mitgewippt.

Ein kleines Manko ist wieder einmal der schlechte Sound im Lindenpark: Beim Gesang muss man sehr genau hinhören. Aber Wenzel kann und will sich verständlich machen. Er nimmt das Publikum mit in seine Welt. „Hat jemand eine Frage?“, spricht er die eingeschworene Gemeinde an. Wenzels offene Art, sein freundliches Wesen ermuntert das Publikum, die Grenze zwischen Künstler und Zuschauer heute Abend nicht ganz so ernst zu nehmen. „Warum Wien?“, ruft jemand. Im Song „Lebensreise“ heißt es: „Nach Paris verliebt zu fliehn / Aber sterben muss man in Wien“. Wenzel antwortet spontan: „Weil Wien die einzige Stadt mit einem Zentralfriedhof ist, da muss man nicht lange suchen“. So kann man über den Tod lachen.

Karsten Sawalski

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