Kultur: Wer braucht schon das „The“? Chikinki feiern mit ihren Fans in der Schinkelhalle
Es ist schon schwer, die Übersicht zu behalten, in dieser schwer definierbaren, grob gehauenen Schublade des Musik-Geschäfts, die mit „Indie/Retro“ beschriftet ist. Der Geburtenboom von „The“-Bands reißt nicht ab und wöchentlich schwappen uns neue, junge, talentierte Musiker entgegen, die sich am musikalischen Erbe ihrer Eltern vergehen.
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Es ist schon schwer, die Übersicht zu behalten, in dieser schwer definierbaren, grob gehauenen Schublade des Musik-Geschäfts, die mit „Indie/Retro“ beschriftet ist. Der Geburtenboom von „The“-Bands reißt nicht ab und wöchentlich schwappen uns neue, junge, talentierte Musiker entgegen, die sich am musikalischen Erbe ihrer Eltern vergehen.
Auf den ersten Blick wirft man auch Chikinki in diesen Schnellkochtopf, der zwar im Moment heiße Ware liefert, in ein paar Jahren aber samt Inhalt in hinteren Regalebenen verkümmern wird. Doch zunächst kann man Chikinki nicht vorwerfen, auf irgendeine, gerade angesagte Welle aufzuspringen. Schließlich sind die Jungs seit über zehn Jahren unterwegs. Anfangs noch unsicher, in welche Richtung ihre Musik gehen soll, entwickelten sie über die Jahre ihren unverwechselbaren Stil. Retro-Rock trifft Elektro-Noise oder besser: die Beiden haben eine wilde Nacht miteinander.
In der Schinkelhalle stellten Chikinki ihr neues Album „Brace, Brace“ vor. Doch mit Kopf-zwischen-die-Beine („Brace“-Position) hatte das Konzert herzlich wenig zu tun. Schlagzeug, Gitarre, Gesang. Ein Bassist ist überflüssig. Der könnte sich eh nicht gegen die zwei Verrückten durchsetzen, die das Quintett komplettieren: Mit je zwei Synthesizern ausgestattet, stehen und springen Boris Exton und Trevor Wensely am Bühnenrand und patschen ihre Hände nach Belieben auf die Tastatur.
Glucksende Glückseligkeit und pathetische Gesten mischen sich zu diesem einzigartigen Chikinki-Erlebnis. Dabei ist der gemeine Konzertbesucher teilweise reizüberflutet vom Glam-Gehabe. Rupert Browne nestelt sich an seinem engen T-Shirt rum und fummelt mit dem Mikrofon obszön im Mundbereich. Man kann sich gar nicht satt gucken an Browne. Sein verdrogter Schlafzimmerblick hypnotisiert, während er seine Rock-Show mit einer Mick-Jagger-Motorik abzieht. Mit dünner, hoher Stimme stammelt er zwischen den Songs einige Ansagen, fühlt sich aber offensichtlich wohler, wenn er sich kreischend durch das Chikinki-Repertoire arbeitet.
Chikinki sind Bühnen-Tiere. Sie atmen die Atmosphäre und ziehen aus jedem auf sie gerichteten Strahler Kraft. Und obwohl die Kommunikation mit dem Publikum auf ein Minimum begrenzt ist, strahlt diese Energie ab. Die Besucher der gut gefüllten Schinkelhalle lassen sich auf jeden Fall nicht lange bitten: schnell verwandeln sich die drückenden akustischen Reize der Band in ausgelassene Tanzenergie der Zuschauer.
Die Jahrzehnte verschwimmen: 70er-Glam mischt sich mit 60er-Zeppelin-Riffs und aus den Synthies kreischen abwechselnd abgefahren-spacige Melodien oder wabern funkige Elektro-Begleitungen. Das Konzert ist wie ein verzerrtes Déjà-Vu-Erlebnis einer Zeit, die die Mehrheit der anwesenden Besucher nicht erlebt haben kann. Also übernehmen Chikinki diese Geschichtsstunde mit einem etwas fragwürdigen pädagogischen Anspruch, aber lautstarkem Zuspruch seitens der Potsdamer. Auch wenn das Rock“n“Roll-Business unübersichtlich wird, auf Chikinki ist Verlass. Und wer braucht schon ein „The“ vor dem Namen, um cool zu sein?
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