Kultur: Wer frisst wen?
HFF-Studenten bringen „Peanuts“ auf die Bühne
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Das Bild ging um die Welt: der Demonstrant Carlo Giuliani liegt erschossen in einer Blutlache auf dem Asphalt. Das war beim G8-Gipfel 2001 in Genua. Diese Szene und die Menschen verachtenden Vorfälle in der Polizeikaserne Bolzaetto regten den italienischen Autor Fausto Paradivino zu einem Stück über Macht und Gewalt an. Auch in Deutschland haben die präventiven Maßnahmen im Vorfeld des G8-Gipfels eine Diskussion darüber entfacht, wie weit der Staat gehen darf, um seine Bevölkerung vor Anschlägen zu schützen. Paradivinos Stück „Peanuts“, das sich die Studierenden der HFF unter der Regie von Sebastian Klink als Abschlussinszenierung ausgewählt haben, passt also gut in die aktuelle Debatte.
Zunächst fängt aber alles ganz harmlos an: Buddy (Andreas Kerbs) soll als „Housesitter“ auf ein Luxus-Appartement aufpassen. Zwei Freundinnen hat er sich eingeladen, vielleicht kann der schüchterne Buddy ihnen ein bisschen imponieren. Es wird gekichert und ferngesehen – bis hierher alles unter Kontrolle. Als aber nach und nach immer mehr „Freunde“ die Wohnung in Beschlag nehmen, gerät die Situation aus den Fugen, die Wohnung wird zum Schauplatz von Aggression, Zerstörung und einer wilden Orgie. Schnell wird klar, dass hier mehr verhandelt wird, als nur Jugendrebellion. Den einzelnen Szenen werden Überschriften wie „Arbeitsmarktpolitik“, „Aufenthaltsgenehmigung“ und „Revolution und neue Techniken des Kampfes“ zugeschrieben. Die Szenerie wird zur interpretativen Reflexionsfläche für Themen wie Globalisierung, politische Macht, Medien und Gewalt. Den elf Charakteren mangelt es im ersten Teil noch an Tiefenschärfe. Außer dem weinerlichen Buddy bleiben die Figuren ziemlich blass. Dies ist aber dem Drehbuch anzulasten und nicht den Schauspielern, die sich lustvoll durch das spartanisch angelegte Bühnenbild bewegen.
Dann ein Zeitsprung: Zehn Jahre später treffen sich die Freunde wieder. Das ausgelassene Party-Ambiente wurde durch ein beklemmendes Gefängnis-Szenario ausgewechselt. Aus Plastiksäcken, die von der Decke hängen, tropft das Blut heraus. Die Freunde von einst sind nun unterteilt in Polizisten und Aktivisten. Die Ereignisse, die ein Jahrzehnt zurückliegen, kehren grotesk verstümmelt wieder zurück. Die Machtverhältnisse haben sich verändert. Menschenleben werden schnell zu „Peanuts“, zu Nichtigkeiten, wenn es um die Ausübung der Pflicht und das scheinheilige höhere Ziel, die Bewahrung der Demokratie, geht. Um Macht und das Auflehnen gegen selbige geht es auch in einem Zwischenspiel, einer modernen Adaption von „Hänsel & Gretel“, das in der Frage kulminiert: „Wer frisst wen?“ Die philosophischen Ausflüge sind intelligente Studien im Spannungsfeld zwischen Gehorsam und Moral. In den anderthalb Stunden werden so viele politische und soziale Diskurse aufgemacht, dass an eine vollständige geistige Verarbeitung der Materie beim Zuschauen gar nicht zu denken ist. Der Stoff ist sehr überzeichnet und man liest noch die Emotionalität heraus, mit der Paradivino sich damals dem Thema annahm – er ist schließlich selbst aus Genua. In dieser Beziehung wirkt das Stück teilweise etwas zu überdreht und verkopft. Als kleine Entschädigung für den Denksport gibt es dann im Foyer Nervenfutter: Cola und, na klar: Peanuts. Christoph Henkel
Weitere Aufführungen am 16. 6, 19.30 Uhr im Theatersaal der HFF, 22. & 23. 6., 20 Uhr in der Reithalle A des HOT.
Christoph Henkel
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