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Bin das ich? Oder nur das, was die anderen in mir sehen? Nina Gummrich als Isa in „Bilder deiner großen Liebe“.

© HL Böhme

Herrndorf-Inszenierung am Potsdamer Hans Otto Theater: Wer ist drinnen, wer draußen?

Am Freitag hat „Bilder deiner großen Liebe“ am Hans Otto Theater Premiere. Intendant Tobias Wellemeyer holt damit auch das Vermächtnis des 2013 verstorbenen Autors Wolfgang Herrndorf auf die Bühne. Spannend ist, wie gut sich der Text dramatisieren lässt.

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Potsdam - Voll Sehnsucht haben alle darauf gewartet, und zugleich ängstlich. Wie traurig würde es sein, dieses letzte, eigentlich nicht fertig gewordene Buch von Wolfgang Herrndorf zu lesen? Der seinen Leser wie kein anderer jüngerer deutscher Schriftsteller sich frei fühlen ließ, ohne groß von Freiheit oder anderem prätentiösen Kram zu sprechen. Der, wie der Kritiker Michael Bartsch schrieb, damit den Nerv einer „akribisch durchgeregelten Gesellschaft trifft, in der Freiheit eher ein umkränztes Postulat denn konkrete Erfahrung bedeutet.“ Und der sich 2013, todkrank, das Leben nahm.

„Bilder deiner großen Liebe“ heißt der Text, den er fragmentartig zurückließ und den Freunde vorsichtig fertiggestellt haben. Und der, in einer Fassung vom Chefdramaturg des Dresdner Staatsschauspiels Robert Koall, inzwischen auch ein Theatertext geworden ist. Einer, der jetzt, unter der Regie von Tobias Wellemeyer, Intendant des Hans Otto Theaters, auch in Potsdam auf die Bühne kommen soll. An diesem Freitag hat „Bilder deiner großen Liebe“ in der Reithalle Premiere.

Konzentration auf die vielen Facetten einer Person

Wer das Buch kennt, wird vielleicht kurz stutzen: Denn Isa, der Hauptfigur, am HOT gespielt von Nina Gummich, eine 14-Jährige, die aus der Klapse flieht – einfach raus aus dem Tor und los – begegnen bei ihrem Gehen, dem immer weiter Laufen, eine Menge Menschen. Im Stück gibt es nur „einen Mann“, gespielt von René Schwittay, und auch dem begegnet Isa nicht „on the road“, sondern als sie kurz zurück in die Klinik kommt. Ein Mitpatient, dem sie ihre Phantasie und sich selbst öffnet. „Es ist ja auch im Roman die Frage: Kommt sie überhaupt vorwärts?“, sagt Schwittay.

Dramaturgisch ist es natürlich schlau, die vielen anderen auf eine Person zu reduzieren. Weil sonst ein fliegender Wechsel von Auftritten und Kostümen entstünde, was nun wirklich nicht der Rhythmus des Romans ist. Deshalb kann es eben auch so funktionieren: Die Anderen als Facetten einer Person – die dadurch klarer hervortreten – die Begegnungen als Dialog zweier Patienten, ein Dialog aus Erinnerungen, Erfahrungen. „Indem wir uns etwas erzählen, werden wir wieder wer“, so beschreibt es Schwittay. Um sich was zu erzählen, reichen natürlich zwei.

Wie zuverlässig sind wir als Erzähler?

Alles andere, sagen Schwittay und Gummich, wäre auf der Bühne auch zu bebildert und auch zu klar. Denn mit Isa hat Herrndorf eine „unzuverlässige Erzählerin“ geschaffen, eine, bei der man nie sicher weiß, was ihrem Kopf und was der Welt entspringt. Und was, fragt Schwittay, sind denn Bilder deiner großen Liebe? Die sind doch verschwommen, das sind die, die sich wie Nebel auflösen, wenn man nach ihnen greift.“

Also übernimmt er die vielen Facetten dieser Liebe und ist dabei doch all die verschiedenen Figuren, die man aus dem Buch kennt. Unter anderem Tschick, der Figur aus Herrndorfs früherem Roman, in dem auch Isa schon kurz auftauchte.

Aber gleichzeitig, sagt Schwittay, wisse man bei den Gesprächen zwischen Isa und „dem Mann“ nie, ob das nicht wirklich seine Geschichten sind. Die Frage ist ja immer, was genau passiert, wenn man sich sein Leben erzählt – wie viel davon kreiert man erst, während man redet, was lässt man weg, was schmückt man aus – und welche Rolle spielt das?

„Das kennt jeder, der von der eigenen Kindheit erzählt – diesen unsicheren Moment: Ist das wirklich meine Geschichte oder habe ich die nur gehört?“, sagt Nina Gummich. Das kann sich auch jeden Abend, an dem sie spielen, ändern, die Haltung dazu: Stimmt das jetzt wirklich, oder ist es Phantasie? Genau das aber eröffnet neue Räume und soll dem Zuschauer Luft lassen, das mit eigenen Sehnsüchten anzufüllen und zu ergänzen. Schwittay liest den Text ohnehin so: Als fortwährenden Erinnerungs- und Erzählstrom, der in sich logisch ist. Auch wenn die Geschichten der einzelnen Akteure in sich abgeschlossen sind.

Die Zuschreibung "Außenseiter" sagt mehr über die Gesellschaft

Bleibt natürlich die Frage, wie man diesen Roman mit seiner schnellen, klaren Sprache, der vor allem ein innerer Monolog ist, spielen kann. Kann man das spielen? Ja, sagt Schwittay, das ergibt sich aus der Fassung, „da muss man nichts groß behaupten, der Text macht es einem leicht, weil er zwangsläufig und notwendig und sehr treffend ist.“

Trotzdem bleibt es schwer, sich den Roman auf der Bühne vorzustellen. Weil das, was Isa ausmacht – dass sie anders und vor allem unfassbar alleine ist – sich ja irgendwo innen abspielt, in ihrem Kopf. „Der Abgrund zerrt an mir – aber ich bin stärker“, wird sie am Ende sagen. „Jeder, der ihr zusieht, muss aber denken: ,Nein, bist du nicht’, sagt Gummich. Genau darum geht es: Dass man nie aus der Eigensicht verrückt ist, dass „verrückt“ immer eine Zuschreibung von außen ist. „Vielleicht sieht nur man selbst das, wofür der Rest blind ist, vielleicht sind es die Depressiven, die die Welt klar sehen“, sagt Schwittay.

Ist Isa also eine Außenseiterin, das Stück eines über das Beschreiten des Abgrunds? „Den Begriff Außenseiter zu verwenden, das sagt doch immer mehr über die Gesellschaft als über die Person selbst“, sagt Schwittay.

„Bilder deiner großen Liebe“ hat am Freitag, 22. Januar, 19.30 Uhr, in der Reithalle des Hans Otto Theaters, Schiffbauergasse, Premiere.

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