Kultur: Wer ist Elvis?
Premiere von „Graceland“ am Hans Otto Theater: Eine Musical-Road-Show
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Es war harter Tobak, abgefedert und sanft verpackt, den das Jugendtheaterstück, das explizit auch für Erwachsene zu sehen ist, am Samstagabend in seiner lang beklatschten Premiere dem Publikum bot. Die Geschichte von Elvis wurde nicht als kompatible Einheit geboten, die fünf Schauspieler waren der Reihe nach und immer wieder durcheinander selbst dieser Elvis, dessen Namenspatron Elvis Presley dem Stück „Graceland“ auch einen Teil des musikalischen Rahmens bot.
Konsequent gegen den Strich des Identitfikationstheaters hat Regisseur Carlos Manuel das Stück nach dem erfolgreichen Roman von Chris Abani gebürstet. Die fünf Schauspieler nehmen abwechselnd die Rolle von Elvis, seinen Freunden, dem König der Bettler, dem Dealer, Mutter und Stiefmutter ein. Häufig spielen die Frauen (Jenny Weichert und Nina el Karzeh) Männer – und umgekehrt (Moses Leo, Peter Wagner und Alexander Weichbrodt), so dass ein heilloses Durcheinander der Rollen entsteht. Einzig der Vater des Jungen, so schien es wenigstens, wurde allein von Alexander Weichbrodt – pinkfarbene Jogginghose, türkis glänzendes Jackett – gegeben.
Aber dieser Eindruck mag täuschen, denn das Stück ist vor allem eins: jung, gnadenlos schnell, mit allen Ebenen des Dramas spielend. Da wird von einem eben mal in die Rolle des Erzählers geschlüpften Peter Wagner, der stolz die weiß glänzende Elvis Jacke trägt, die Situation dargeboten, während die anderen Vier die Szene spielen.
Zur Einstimmung verkauft der Slang sprechende Moses Leo Bier durch Rap-Reime, alle tragen Badelatschen, die wohl genügen, um Afrika zu symbolisieren. Das Sofa dient häufig als Bus-Shuttle, der von der einen zur anderen Seite der Bühne wackelnd fährt und das Gefühl der Busreise in der Millionenstadt Lagos nachempfinden lässt, auch wenn die Insassen auf ihren Sitzen ein bisschen rocken. Draußen – das wird manchmal als Slapstick geboten – wird einfach jemand überfahren, ohne dass sich die Menschen groß drum kümmern. Wir befinden uns eben in einem Land in Afrika. Da kommt es auf ein Leben mehr oder weniger nicht an. Immer wieder kippt das Stück in filmische oder Showelemente um. Sie machen das Elend, das erzählt wird, zu einer skurrilen Randerscheinung im chaotischen Dasein. Zur Bühne führt von den erhöhten Zuschauerrängen ein roter Teppich, der direkt auf ein schmuckes, auf eine Holzwand aufgemaltes Tor zuläuft (Bühne: Vinzenz Gertler), dahinter ist ein Park zu erkennen und die Mauern einer Villa: Graceland eben, wohin auch Elvis gelangen will. Doch dem, egal von wem auch immer er gerade gegeben wird, werden Steine in den Weg gelegt: seine Stiefmutter will Geld für die Miete, Elvis verdingt sich als Eintänzer in einem zwielichtigen Club (herrlich die Tanzeinlagen des Ensembles mit ihren Perücken, die sie plötzlich alle tragen und Sonnenbrillen, die den eindeutigen Blick auf die Personen, die schon lange miteinander in einen großen Personenkörper verschmolzen sind, noch mehr trüben), erhält aber seinen Lohn nicht. Er arbeitet als Bauarbeiter, wird aber gleich wieder entlassen, nimmt einen lukrativen Job an, der, wie sich herausstellt, im Organhandel kulminiert. Hinter dem „Kleibus“ (Sofa) erweisen sich die Kühlboxen als Nieren-, Leber- und Schädellager, die mitgeführten Kinder (Peter Wagner skurril als kreischendes kleines Mädchen) sind die lebendigen Ersatzteile dieser merkwürdigen Fahrt. Am Ende wird Elvis dann noch verhaftet, freigelassen und erhält von seinem Freund (überzeugend bezaubernd: Nina El Karzeh) Redumption ein Visum für Amerika geschenkt, die Rettung für ihn, der unter falschem Namen in die USA gelangt. „Die Weißen sehen bei uns Schwarzen ja eh keinen Unterschied“, hat Redumption ihm als Beruhigung mit auf den Weg gegeben. Jenny Weichert versucht sich stark in Männerrollen, so als Gefängniswärter, der kein Pardon kennt, geht aber in dem Tohuwabohu etwas unter. Moses Leo im gelben Dress, dem ein Zebra-Sakko den letzten Schliff gibt, überzeugt in den Slapstick-Paradespielchen.
Selbst wenn das Stück nach einer Stunde etwas lahmer wird, nimmt es doch wieder volle Fahrt auf und stürzt den Zuschauer in ein rasantes Spiel um Identifikationsfindung in unserer einen großen Welt.
Weitere Vorstellungen in der Reithalle A (Schiffbauergasse): 26. und 28. März, 19.30 Uhr, 21. April, 18 Uhr, Kartreservierungen unter Tel. 98118.
Lore Bardens
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