Kultur: Wer ist schuldig?
Zweite Station der „Dornenzeit“ in der Friedenskirche Sanssouci
Stand:
„Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen, dass man solch ein Urteil über dich gesprochen?“, fragt Johann Heermann in seinem gleichnamigen Gedicht nach der „Ursach solcher Plagen“. Die Antwort: „Meine Sünden haben dich geschlagen“. Mit diesem Thema beschäftigt sich die „Dornenzeit“ in der Friedenskirche, bei der Musik und Literatur zur Passion eine dramaturgisch überzeugend geknüpfte Verbindung eingehen.
Die zweite Station auf diesem dornenreichen Weg befasste sich mit „Jesus Verhör vor dem Hohen Rat“ und der „Verleugnung des Petrus“. Den Texten aus dem Matthäus-Evangelium, von Klaus Büstrin gleich einem Berichterstatter vor Ort mit schnörkelloser, dennoch emotionsgeprägter Diktion gelesen, waren Anmerkungen moderner Autoren gleich Kommentaren zum biblischen Geschehen zur Seite gestellt. Beispielsweise Rudolf Otto Wiemers „Der Hahn“, eine seelenzerfressende Selbstanklage des Jesus-Leugners Petrus. Zum Mitdenken lud auch die „Meditation zum Leiden und Sterben Jesu“ von Eugen Drewermann ein, der die Behauptung, ob Jesu „Sohn Gottes“ sei, nach allen Richtungen hin ausdeutete. Manches bewusst Provokantes darunter, wie beispielsweise die politische Funktion des Hohenpriesters Kaiphas als Machtfaktor zwischen Rom und dem jüdischen Volk. Die politische Logik gebiete es, sagt Drewermann, dass Jesu in der damals aktuellen Lage politisch fehl am Platze war. Es sei besser, wenn einer stirbt als ein ganzes Volk – also weg mit ihm und Friede der Stadt Jerusalem. Zu solchen verbalen Nachdenklichkeiten, unprätentiös rezitiert, gesellte sich eine stimmige Musikauswahl, durch die sich diese Passions-Station zu einem geschlossenen Ganzen formte. Zur Einstimmung spielte Flötistin Birgitta Winkler, von Matthias Jacob am Positiv begleitet, das Adagio ma non troppo aus Johann Sebastian Bachs e-Moll-Sonate als eine wiegenliedartige, elegisch geprägte Überlegung. Ihr folgte sozusagen als „Auflösung“ das bewegtere Allegro mit warmgetönten Orgelregistern und zartem, koloraturengeläufigen Flötengesang. An der Woehl-Orgel, spielte Jacob nach den Heermann-Reimen die Bachsche Choralbearbeitung „O Mensch bewein dein Sünde groß“ als ein schlichtes, vom tremolierenden Zungenregister bestimmtes Adagio. Ihr folgte Gisbert Näthers Meditation für Flöte und Orgel op. 71, in der anfangs ein Dialog über eine große Distanz geführt wird (die Flöte erklingt wie von weit her aus dem Vorraum der Empore), ehe man zu gemeinsamem Instrumentalgesang findet. Er nimmt jubilierende, dann akkordisch gewichtige Züge an, um schließlich wieder in den anfänglichen ätherischen Gestus zu münden. Ein vortreffliches Beispiel für moderne Klänge, die etwas zu sagen haben! Zwischen Verhör und Verleugnung ist Frank Martins „Agnus Dei pour orgue“ eingepasst, eine schlichte Melodie, die allmählich Volumen gewinnt. Nach Wiemers „Hahn“-Text kündet der mit Trillern und Sprüngen leidenschaftsbewegte „Poco Adagio“-Satz aus Carl Philipp Emanuel Bachs a-Moll-Sonate für Flöte solo von der Zerrissenheit Petri. Schließlich sorgt Johann Gottfried Walthers Partita über den Choral „Jesu, meine Freude“ für einen besinnlich-stillen Ausklang. Den Variationen zieht Jacob farbenreiche, leuchtende, flötenliebliche Soloregister. Neu für sich entdeckt und erstmals verwendet hat er dabei die näselnde, schnarrende Mixtur aus Vox humana und 16-Fuß-Quintaton. Peter Buske
Peter Buske
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