Filmmuseum Potsdam widmet sich dem Wiederaufbau: Werbefilme für die neue deutsche Stadt
Es hat etwas Kurioses: Flüchtlinge führen einen Schauspieler wie einen Touristen durch ihre neu errichtete Siedlung irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Das Szenario spielt nicht etwa heute, sondern fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
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Es hat etwas Kurioses: Flüchtlinge führen einen Schauspieler wie einen Touristen durch ihre neu errichtete Siedlung irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Das Szenario spielt nicht etwa heute, sondern fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Der achtminütige Kurzfilm „Wo ein Wille ist...“ wirbt für die westdeutsche Siedlungspolitik der 1950er-Jahre. Dessen nicht genug, ist es auch noch Horst Tappert, bekannt als späterer Kommissar Derrick, der in diesem Fall den Touristen mimt und den Zuschauer an die Hand nimmt, um die Errungenschaften der frühen Bundesrepublik zu rühmen. Diesen und fünf andere Kurzfilme zeigt das Filmmuseum Potsdam am heutigen Donnerstagabend unter dem Titel „Wiederaufbau, Siedlungspolitik und Architektur.“ Das Programm ist entstanden im Zuge des Forschungsprojektes „Die Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland“, an der die Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“ unter Leitung von Ursula von Keitz beteiligt ist. Keitz ist gleichzeitig die Direktorin des Filmmuseums Potsdam.
Mit einem Gesamtbudget von mehr als 2,5 Millionen Euro ist das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Projekt bundesweit derzeit das größte im Bereich der Filmgeschichte. Auf insgesamt acht Jahre angelegt, erforscht es die Zeitspanne von 1945 bis 2005. Neben der Filmuniversität sind die Universität Hamburg und das Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms an dem Projekt beteiligt. Eine Auswahl des bereits gesichteten Materials war bereits im Filmmuseum in den vergangenen Monaten zu sehen. Heute Abend nun in Kooperation mit dem Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften (ZeM) widmet sich das Programm der Architektur der 1950er-Jahre.
„Die Filme sind je nach politischem System unterschiedlich. Ihnen gemein ist die Würdigung der Aufbauarbeit mit sehr heroischen Mitteln“, sagt Ursula von Keitz. Stadtpolitisch sei in beiden Teilen Deutschlands davon ausgegangen worden, dass die Trümmerlandschaft eine Chance berge, um die Idee einer verkehrsgerechten Stadt zu verwirklichen. In Ost wie West herrschten damals Vorstellungen einer „gezonten Stadt“. Statt der klassisch gewachsenen Stadt werden nach dem Krieg die Innenstädte entkernt, Wohnbereiche enstehen in einem äußeren Kreis um die Stadt, in der Geschäfte und Verwaltung Vorang haben.
Der Film „Unsere Stadt“ aus dem Jahre 1955 zeigt diese typische Anti-Altbauhaltung jener Zeit: Eigentümer und Geschäftsleute werden aufgefordert, ihre alten, der Verkehrsplanung im Wege stehenden Häuser zu verkaufen. Wer protestiert, so die Drohung, wird enteignet. In dem Film „Baue mit Verstand“ werden Eigenheime als neues Lebensideal propagiert. In dem Programm ebenfalls zu sehen ist der DDR-Film „Seine 43“ von 1963. Darin gezeigt wird, wie 1961 die neue Lange Brücke in Potsdam eingefahren wird. Im kommenden Jahr soll das Programm mit Kurzfilmen zur Frauen- und Arbeitsthematik fortgesetzt werden.
„Wiederaufbau, Siedlungspolitik und Architektur“ heute, 17 Uhr im Filmmuseum Potsdam, Marstall. 18.30 Uhr Vortrag „Bauformen des Gewissens – Die Architektur der 50er Jahre“ von Prof. Dr. Markus Krajewski, ZeM, Friedrich-Ebert-Straße 4.
Grit Weirauch
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