Kultur: Widerständig
„Staatsfeinde in Uniform“– neues Buch über NVA
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„Staatsfeinde in Uniform“– neues Buch über NVA 1983 spielte Korvettenkapitän Sch. im Fasching seinen Männern den Song „Sonderzug nach Pankow“ vor, in dem sich Udo Lindenberg ironisch-wohlwollend mit Honecker auseinander setzte. Daraufhin wurde der Offizier wegen „Verunglimpfung“ des Generalsekretärs der SED und Staatsratsvorsitzenden zum Matrosen degradiert und aus der Volksmarine ausgestoßen. Nachdem sich Ende 1983 Honecker mit Lindenberg getroffen hatte, stellte Sch. Antrag auf Rehabilitierung, jedoch vergeblich. Erst nach der Wende wurde er 1990 rehabilitiert. Diese Anekdote findet sich im Band „Staatsfeinde in Uniform? Widerständiges Verhalten und politische Verfolgung in der NVA“ (Nationale Volksarmee), der im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) Potsdam seine Buchpremiere erlebte. Sie hat einen bitteren Beigeschmack, denn der Offizier musste sich nach seinem Ausschluss jahrelang als Hilfsarbeiter durchschlagen. Sie zeigt aber auch, dass die Autoren des Buches nicht bei Verallgemeinerungen stehen bleiben, sondern ihr erstmals in dieser umfassenden Form recherchiertes Forschungsthema an den Schicksalen der Betroffenen festmachen. Herausgeber und Verfasser Dr. Rüdiger Wenzke sowie Mitautor Dr. Torsten Diedrich konnten dafür als ehemalige NVA-Angehörige ihre Insiderkenntnisse einbringen, MGFA-Chef Oberst Dr. Hans Ehlert hat das Kapitel über die „Wendezeit“ geschrieben. Nicht immer ging die Verfolgung „widerständiger“ Armisten in der DDR so relativ glimpflich aus wie im Fall des Korvettenkapitäns, als das SED-Regime bereits am Bröckeln war. Die ganze Härte des Repressionsapparates erfuhr beispielsweise der Gefreite Rüdiger K., der 1963 vergeblich versucht hatte, von Stahnsdorf aus mit einem Panzer die Grenzanlagen zu durchbrechen, um in den Westen zu fliehen. Er wurde zu lebenslangem (!) Zuchthaus verurteilt. An der Buchpremiere nahm auch der ehemalige Unteroffiziersschüler Andreas Puschendorf teil, damals durchaus kein DDR-Regimegegner, der aber aus seinem Demokratieverständnis heraus offen den Personenkult und die Ausbürgerung Wolf Biermanns kritisierte. Dafür erhielt er zwei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe. Während der Buchpremiere wurde die Frage diskutiert, ob Soldaten nicht prinzipiell zu Befehlserfüllung und Gehorsam verpflichtet seien. Dazu erklärte der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Hans-Peter von Kirchbach, dass regierungskritische Auffassungen und Haltungen, die in der NVA verfolgt wurden, in der Bundeswehr seit jeher zu den selbstverständlichen Rechten der Soldaten gehören. Die Fälle widerständigen Verhaltens in der NVA, die Wenzke und Diedrich überzeugend in den politischen und militärischen Gesamtzusammenhang stellen, scheinen Legion zu sein. Doch Tausende Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige sind angesichts der Gesamtzahl von 2,5 Millionen, die seit 1948 in der Kasernierten Volkpolizei und dann der Armee dienten, eine geringe Zahl. Die Nationale Volksarmee wirkte im Sinne der SED staatserhaltend und war keineswegs ein Hort von Opposition und Widerstand, stellen die Autoren resümierend fest. Um so mehr Achtung gebühre den Wenigen, die trotz Verfolgung und Diskriminierung ihre abweichende politische Haltung gegenüber dem Repressionsapparat vertreten haben. Erhart Hohenstein Rüdiger Wenzke (Herausgeber), Staatsfeinde in Uniform?, Christoph Links Verlag, Berlin 2005, 656 S., 34,90 Euro,
Erhart Hohenstein
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