Kultur: Widerständige Kunst
Patrick Scully und Kollegen tanzten am Wochenende in der fabrik
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Tanz als Widerstand, Ausdruckskunst als revoltierendes Beharren auf der eigenen Individualität, die von der Gesellschaft genommen zu werden droht. Das war der Nenner, auf den sich die Tänzer um Patrick Scully am Freitag und Samstag in der fabrik geeinigt haben. Mehr oder weniger explizit drückte dabei jeder der „Artists in residence“, die zurzeit in der fabrik arbeiten, seine ganz spezifische Eigenheit aus. Wie ein Kabarett aus den zwanziger Jahren war am Freitagabend der Bühnenraum der fabrik gestaltet, die Zuschauer saßen an kleinen Tischen und durften sich am Tresen was zu trinken holen. Musik empfing mit guter Laune, der Brass der Gruppe um Olaf Mücke ließ schon im Flur seine flotten Töne erschallen. Diese Musik begleitete, umspielte, kommentierte beständig die vier Tanzkünstler und ließ die Zuschauer in den Tanzpausen Atem schöpfen für das Geschehen, das Künstlern und Publikum einiges abverlangte.
Kats D Fukasawa trug mit seinem weiß geschminkten Gesicht, dem roten Puppen-Kleidchen und seinen Zuckungen und Verkrampfungen eine Unverwechselbarkeit vor, die erstaunte und manchmal auch abschreckte. Und die gleichzeitig die kulturelle Verwobenheit eines jeden Menschen deutlich machte. Bei dem Japaner schoben sich die Comic-Brutalitäten der Mangas vor das innere Auge, oder auch die Kriegsfilme asiatischer Herkunft, in denen auf Empfindsamkeit wenig Wert gelegt wird.
Laurie van Wieren kämpfte als eine auf dem Fußboden scheinbar festgezurrte Gestalt im Mata-Hari-Outfit mit schwarzen Haaren mit einer Zigarette in der Hand gegen die Gier wie angewurzelt versuchte sie, dem Objekt ihrer Begierde näherzukommen. In ihrem zweiten Part am Freitagabend präsentierte sie eine wunderbar komische, die einzig leichte Performance des Gesamtkunstwerks: Drei winzige Püppchen standen auf dem Fußboden im Lichtkegel der Scheinwerfer, und die Tänzerin, dadaistisch im bunten Reifrock, unverständlich im Herausposaunen mehrerer Wortschwalle, suchte und fand und rannte weg und kam wieder, sich auf die drei Puppen als Orientierungspunkt beziehend, rast- halt- und scheinbar ziellos.
Sie war da ziemlich komisch. Und Venus, das Transgenderwesen mit den kleinen Brüsten und den hochhackigen Stiefeln bot sich mit rockigen Klängen und entblößender Sinnlichkeit dem Publikum an. Und stellte es vor die Wahl, entweder ein Suizid-Lied oder ein Tragische-Liebesgeschichte-Lied zu hören. Venus war sehr erfreut, als das Publikum sich für die zweite Möglichkeit entschied, das käme in Amerika nicht vor, sagte er und hob an zu singen, traurig die Stimme, laut manchmal und immer sehr authentisch.
Patrick Scully schließlich verblüffte zunächst einfach dadurch, dass er nur erzählte, um aber dann noch mit einer Performance zur Whalt Whitman-Lobpreisung des Körpers seine Tanzkunst zu zeigen. Das war keine distanzierende Kunst, die man da sah, sondern der trotzige, verzweifelte und stolze Kampf, zum eigenen Ich, zu dessen schützenswerten, empfindsamen Kern zu gelangen.
Am Samstag zeigten die vier Künstler dann, wiederum begleitet von der virtuosen Musik, was sie vor Ort zu dem Thema Holocaust und Krieg erarbeitet hatten. Laurie Van Wieren erhielt jetzt Verstärkung von Sabine Chwalisz, beide Frauen zeigten in aufeinander bezogenen, aber voneinander abgewandten Bewegungen zart zurückgehalten eine Orientierungslosigkeit, die sich in Waschzwang-Bewegungen oder anderen, scheinbar autonom sich vollziehenden Körperaktionen Ausdruck verschaffte.
Sven Till tanzte mit Patrick Scully die Trauer um die vielen Toten und Gefolterten, die in einer Diashow an die Leinwand projiziert wurden: Der Schriftzug „Arbeit macht frei“, dieses zynisch über das Todeslager Auschwitz gebrannte Markenzeichen eröffnete dabei den Reigen der Widerwärtigkeiten, der mit Guantánomo-Gefolterten noch lange nicht beendet war. Das dazu aufgeführte stumme Ineinander-Zerfließen, Sich-Aufeinander-Legen der beiden Männerkörper im sprachlosen Kummer war bittere Anklage gegen alle Ungerechtigkeiten in der Welt und wieder die Verteidigung der eigenen Empfindsamkeit.
Transgender-Venus entpuppte sich am Samstag ebenfalls als Ausdruckskünstler, inspiriert von einem Traum, den er hier hatte. Immer wieder wollte der knapp Bekleidete zum Licht der Scheinwerfer, und immer wieder gingen die gerade in dem Moment aus, als er sie erreicht hatte. Insgesamt eine sehr anspruchsvolle und bewegende Darbietung der Kunst, die innig sein kann, wenn sie sich zu ihrer Subjektivität bekennt.
Lore Bardens
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