zum Hauptinhalt

Kultur: Wie alle es machen

Beifallsumjubelte Premiere von Mozarts „Cosi fan tutte“ im Potsdamer Schlosstheater

Stand:

„Ach, wie so trügerisch sind Weiberherzen“, schmettert Verdis Macho-Herzog von Mantua. Doch auch sein Bruder im Geiste, der Philosoph und Frauenfeind Don Alfonso, ist in Mozarts Dramma giocoso „Cosi fan tutte“ („So machen es alle“) davon restlos überzeugt. Wetten dass, die Frauen untreu sind? Also schickt er die Offiziere Ferrando und Guglielmo in die „Schule der Liebenden“. Topp, die Wette gilt: So machen’s alle. Dabei steht die Treue der Verlobten Fiordiligi und Dorabella auf dem Prüfstand. Verführerische Verwicklungen über Kreuz sind bei diesem brutalen Spiel mit Gefühlen die Folge. Doch Mozart machte aus der Vorlage (Lorenzo da Ponte) mehr als eine bloße Verwechslungsfarce im Irrgarten der Empfindungen: er komponierte eine Commedia humana, die den Ernst der Erotik, die Fragwürdigkeit eigener Moralbegriffe zum Thema hat.

Ohne besonderen szenischen Aufwand erlebte diese böse Beziehungskiste am Samstag durch das Hans Otto Theater im Schlosstheater im Neuen Palais ihre beifallsumbrandete Premiere, mit der sich die diesjährige Saison der „Potsdamer Winteroper“ eröffnete. Sechs Jahre sind seit der letzten „Cosi“-Inszenierung vergangen. Wie wird sie diesmal ausgehen, die Wette um die Beständigkeit der Frauen? Kehren die Gebeutelten zu den Alt-Gefährten zurück oder bleiben sich die Neugefundenen treu? Dreieinhalb kurzweilige Stunden lang kann das Publikum darüber rätseln, wie Theaterintendant Uwe Eric Laufenberg das psychodramatische Geschehen auflöst.

Dabei ist das Publikum, teilweise vor einer Spiegelwand auf der Bühne platziert, in das Geschehen hautnah einbezogen: Chor und die Solisten sitzen unter ihnen, machen die Zuschauenden gleichsam zu Mitbeteiligten und Mitwissern (Bühne: Matthias Schaller). Die Protagonisten singen (in Italienisch, mit deutschen Übertiteln) aus dem Publikum heraus bzw. in selbiges hinein, tönen mit kraftvollen und jugendfrischen Stimmen tatsächlich über den (Orchester-)Graben hinweg. Sie agieren auf schmaler Vorbühne und Parkettvorplatz. Alles ist öffentlich. Unter diesen Gegebenheiten müssen die Schwestern die Treue-Wette der Männer mitbekommen haben. Wie sie darauf reagieren? Es scheint, als würden sie sich einen Spaß daraus machen, die Machos in dem Glauben zu lassen, sie ließen sich zum Partnertausch verführen. Für diese These gibt es im weiteren Szeneverlauf immer mehr detailträchtige Hinweise. So entsteht ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

Die ganze Zeit über steckt das Schwesternpaar in feiner Partyrobe modernen Zuschnitts, während die vorgeblichen Offiziere sich in Zivil zeigen, nach der Verwandlung als Handwerkertrupp, später in Rockerkluft und Zimmermannskleidung (Kostüme: Antje Sternberg). Kein Zweifel: die Gegenwart ist’s, in der das Geschehen angesiedelt ist. Nicht gerade umwerfend originell, aber in seiner psychologischen Ausdeutung völlig sinnfällig. So sind die Konterfeis der Partner auf Handy gespeichert, wird mit selbigem der Stand des Treuebruchs dokumentiert Laufenbergs einfallsreiche Inszenierung, die sich durchweg aus Mozarts Musik speist, kennt kaum einen Moment der Langeweile. Das Ergebnis sind Leichtigkeit, Witz, temporeiches und natürliches Spiel.

Entsprechend animiert klingt es auch durch die Kammerakademie Potsdam (Leitung Konrad Junghänel), die in historischer Manier musiziert, zum Teil auf ventillosen Hörnern und Trompeten. So entsteht ein raffinierter, detailverliebter Klang voll warmer und gedeckter Farben à la sotto voce, mit dem sich wunderschön kolorieren, aber auch kräftig zulangen lässt. Die Rezitative tastatiert Rita Herzog auf dem Hammerklavier fantasiereich, zum Teil erfinderisch, um die weiten Auftrittswege der Mimen zu überbrücken.

Wie sie singen? Über lockere und koloraturengeläufige Mozart-Gurgeln verfügen sie alle. Jutta Böhnert spielt und singt eine prachtvolle Fiordiligi, der die halsbrecherische „Felsen“-Arie weit weniger dramatisch als üblich aus der Kehle strömt. Dafür begeistert sie mit lyrischer Legatolinie, intensivstem Ausdruck im Leisen, strahlender Höhe. Nicht weniger adrett in Statur und Stimme gibt Kremena Dilcheva die Dorabella, die als erste dem Seitensprung nicht abgeneigt ist und vor Leidenschaft wie Seelenschmerz genauso brodelt wie ihre Schwester. Die Liebenden (und Verführer) sind mit Timothy Sharp als draufgängerisch-jungen-haftem, baritonlyrisch sich verströmendem Guglielmo und mit Mirko Roschkowski als knuddelbärigem, kraftvoll auftrumpfendem, strahlendem, höhensicherem und arienlyrisch den „Odem der Liebe“ besingendem Ferrando aufgeboten. Eine resolute, drallfigürliche, dem Soubrettencharme völlig abholde Zofe Despina liefert Gabriele Scheidecker, die – Typ la Mamma – hinreißend komisch auch als Ärztin und Notarin begeistert. Selbst- und wettsiegessicher zieht der stimmverlässliche Martin Kronthaler als Don Alfonso die Fäden der Überkreuzverwicklungen.

Und ihr Ergebnis? Eine Entscheidung, wer zu wem gehört, gibt es nicht. Ergo auch keine Paare. Man zeigt sich ungerührt vom Gewesenen, feiert eine Party. Sozusagen als Spiegelbild einer Gesellschaft, die in den Tag hineinlebt und in der es keine Verantwortung für den anderen mehr gibt. Sehr nachdenkenswert.

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })