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Kultur: Wie ein Engel

Am falschen Ort: Beasley in Friedenskirche

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Mit der untersetzten Statur, dem schimmernden, glattrasierten Schädel über dem ganz in schwarz gekleideten Körper wirkt Marco Beasley schemenhaft, unwirklich, wie aus einer anderen Welt. Die ganze Gestalt erinnnert an ein mythologisches Wesen, ein Kobold oder ein Faun, aber Beasley singt wie ein Engel. Allein, die Friedenskirche erwies sich nicht als passender Ort für das Konzert von Beasley mit dem Ensemble Accordone.

Die weltlichen Klagelieder und Kantaten über unerfüllte Liebe, gesättigt mit frivolen Sprachspielen und Zweideutigkeiten hätten besser in die Ovidgalerie als in eine Kirche gepasst. Dies war auch dem sensiblen Sänger bewusst, der sich angesichts des Gotteshauses vor der besonders deftigen Kantate „Ammore, brutto figlio de pottana“ (Amor, schlimmer Hurensohn) von Alessandro Scarlatti sogar respektvoll entschuldigte, obwohl die Entscheidung dafür wohl nicht in seiner Verantwortung gelegen hatte. Vielleicht könnte der Inhalt der Konzerte in Zukunft auch mit dem Ort abgestimmt werden.

So lag von Anfang an ein Schleier über der Darbietung. Beasley beschwörte das klare, helle, unverkennbare Timbre seiner Stimme, die zwischen Cantautore und Kunstlied angesiedelt ist. Fern von gekünstelten Verzierungen und Artikulationen setzt Beasley auf Klang und Intonation. Das klingt betörend, aber auch befremdend, denn dieser Sänger entzieht sich den üblichen Kategorien. Der in Neapel aufgewachsene Sohn eines Engländers und einer Italienerin verschmilzt die Musik der italienischen Renaissance und des Barock derart mit seinem eigenen Temperament, dass sie scheinbar direkt ins Heute gelangt. Der Sänger als Erzähler, der die alten Mythen weitergibt. In den über zwanzig Jahren des Zusammenspiels von Beasley und Guido Morini, Cembalist und Komponist, in dem von ihnen gegründeten Ensemble „Accordone“ sind Stimme und Instrumente eine symbiotische Beziehung eingegangen, wie sie nur selten zu hören ist. Wie sehr beide in der Welt der melancholischen Lamenti zu Hause sind, zeigte sich in ihrer neuen Komposition über den „Verliebten Orpheus“, klangvoll und berückend, im gleichen Gestus wie die älteren Stücke. Erst als sich die Chemie mit dem Auditorium erwärmt hatte, bei den zwei Zugaben, zeigte sich, dass Beasley außer zurückgenommenem Schöngesang auch anders kann, nämlich fulminant und temperamentvoll. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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