Kultur: Wie ein toter Fisch im Mondschein
„Dieses Scheusal Stroheim“ ab heute im Filmmuseum: mit einer Ausstellung und Retrospektive
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Dieser Mann ist wahrlich nicht von Pappe – auch wenn sein Leben und Werk derzeit auf Pappe nacherzählt wird. Das „Scheusal Stroheim“, das ab heute im Filmmuseum nachhaltig Raum greift, zeigt die Welt als Schlachthaus. „Der Gestank von Fäulnis und Verwesung kriecht von der Leinwand herunter zu den Zuschauern“, beschreiben Cineasten die Wirkung der Filme dieses Exzentrikers und Moralisten, der für seine schockierende Wahrhaftigkeit von Kollegen wie Billy Wilder, Sergej Eisenstein oder Jean Renoir geradezu angebetet wurde.
Doch die Produzenten zeigten ihm oftmals die kalte Schulter: wenn er das Budget über die Million hinaus trieb, seine detailbesessene Arbeit in die Länge zog, Filme von neunstündiger Dauer entstehen ließ. Für eine Handvoll Einstellungen ließ er die gesamte Promenade von Monte Carlo in Kalifornien nachbauen, seine Komparsen wurden nicht nur in teure Hüllen gesteckt, auch ihre Unterwäsche musste aus Seide sein – obwohl man sie nie zu sehen bekam. Allein das Gefühl, sie zu tragen, verändere den Auftritt, so Stroheims Maxime.
Der Kontrast zwischen barocker Pracht und schockierender Düsternis hat seine Quelle auch in Stroheims Biografie. Als Sohn eines jüdischen Hutmachers wuchs er im Wiener Ghetto sehr bescheiden auf. Der Luxus wohnte ein paar Straßen weiter. Als Erich Stroheim sich mit 24 Jahren auf den Weg nach Amerika machte, schüttelte er seine Vergangenheit rigoros ab und erfand sich eine neue Biografie. Kurzerhand setzte er zwischen Erich und Stroheim ein kleines „von“ und „ritt“ nunmehr geadelt als Kavallerieoffizier der österreichischen Armee in seine neue Heimat ein – „obwohl er nie gedient hatte und grauenhaft zu Pferde saß“, wie der Gastkurator Rick Schmidlin aus Vancouver beim gestrigen Presserundgang zwischen den originell arrangierten Papp-Inseln zu berichten wusste. Zudem habe sich Stroheim als strenger Katholik ausgegeben, was nicht unbedingt karrierefördernd war – schließlich hatten in Hollywood vor allem jüdische Filmemacher das Sagen.
Nach einem kläglichen Komparsendasein gelang ihm schließlich mit Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg der Durchbruch als Schauspieler. Und zwar aufgrund seiner bedrohlichen Erscheinung. Man besetzte ihn in amerikanischen Propagandafilmen als den deutschen Bösewicht schlechthin. „Der Mann, den man gern hasst“, schrieb die Presse. So musste er in „The heart of Humanity“ eine amerikanische Krankenschwester vergewaltigen und ein schreiendes Baby aus dem Fenster werfen. In Europa wurde er dafür als Landesverräter verachtet.
Schließlich nahm er selbst das Regiezepter in die Hand. Er war der Erste, der Europa als Filmthema aufgriff. Mit „Blind husbands“ (1919) und „The Devil“s Passkey“, die über pikante Seitensprünge gelangweilter Gattinnen erzählen, hatte er durchaus Erfolg. Bei seinem komplexen Drama „Törichte Frauen“ häuften sich indes die Konflikte, als Stroheim sich weigerte, die Filmlänge auf unter fünf Stunden zu kürzen. Oftmals beendeten andere Regisseure seine Arbeit. „Keiner seiner Filme wurde je in der von ihm konzipierten Form dem Publikum gezeigt. Im Schneideraum sind aus seinen großen epischen Entwürfen Melodramen geworden“, so Rick Schmidlin.
Stroheims Film „Greed“ (Gier) von 1924 sei nur einmal intern in voller Länge von 9,5 Stunden gelaufen. „Er gilt als der berüchtigste ,verschollene“ Film der Filmgeschichte.“ Rick Schmidlin selbst hat ihn mit Hilfe von 650 Standfotos in all seinen Erzählsträngen rekonstruiert. Und es dabei auf eine Länge von gut vier Stunden gebracht, was zur heutigen Eröffnung der Ausstellung zwar Sitzefleisch erfordert, aber auch Spannung verheißt. Greed erzählt von einer krankhaft geizigen Frau, die sich weigert, ihren Lotteriegewinn anzutasten, bis sie und ihr Mann zu Raubtieren mutieren, was in einem Mord endet. „Bei Stroheim geht es immer um Würde und den Verlust von Würde. Er treibt es ins Monströse, um zu zeigen, wie monströs die Gesellschaft ist“, so der Kurator.
Die im Filmmuseum gezeigte Retrospektive bedeute, einen grandiosen Trümmerhaufen auf die Leinwand zu bringen, doch selbst das Stückwerk lohne die Entdeckung. Auch in der Ausstellung selbst sind in Papp-„Fernsehern“ Filmausschnitte zu sehen, oft mit Stroheim in der Hauptrolle. Wohlweislich besetzte er sich selbst, um nicht abserviert zu werden. Die in Schreibtisch-Nischen geschickt gegliederte Ausstellung zeigt auf teils erstmals veröffentlichten Fotos und Dokumenten auch den Privatmann, der den Kontakt zu seiner Familie in Österreich völlig abgebrochen hatte, um seine Legende nicht zu zerstören. Stroheim war dreimal verheiratet und sein Sohn Josef, den er zärtlich „Pupsi“ nannte, beschrieb ihn als sehr warmherzig. Nach Kriegsende ging Stroheim nach Paris, hatte aber trotz seiner Filmrollen Geldprobleme. 1950 reiste er noch einmal in die USA und spielte in dem Billy Wilder-Film „Sunset Boulevard“. Kurz vor seinem Tod 1957 wurde das „Scheusal“ in Frankreich zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.
Die Ausstellungsdesigner trafen mit ihrer Papp-Idee ins Schwarze. So wie Kulissen immer nur Schein sind, war auch Stroheims Leben zumeist Fassade. Seine Filme wurzeln indes tief in der Realität. „An der Oberfläche unglaublich schillernd: wie ein toter Hering im Mondschein“, sagt Rick Schmidlin.
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