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Kultur: Wie eine große Familie

Lernen und Daumendrücken bei „Jugend musiziert“ in Potsdam

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Geradezu selbstvergessen spielt der 13-jährige Richard Herbst aus Altruppin noch schnell seinen Klavierpart durch, reibt sich die Hände warm. Aufgeregt scheint er nicht zu sein, obwohl er und seine gleichaltrige Spielpartnerin, die Jungtrompeterin Henriette Kluchert aus Blumenthal, bald ihren Wertungsauftritt im Nikolaisaal haben. Umsomehr ist seine Lehrerin Karin Henning aufgeregt: „Ob alles klappt wie Richard es sich vorgestellt hat?“ Noch mehr fiebert sie dem Auftritt ihrer Tochter Sophie entgegen, die der Trompeterin Anne Leske die erforderliche Tastenunterstützung geben wird. Als es an der Zeit ist, treten auch sie selbstbewusst „in den Ring“. Doch zunächst stellen sich der zehnjährige Jan Franzen (Trompete) und der 13-jährige Edgar Franke (Klavier) der gestrengen Jury. Gekonnt und sicher der Ansatz des einen, vor Aufregung etwas unsicher die Tastenspielereien des anderen. Im Zusammenspiel schummeln sie sich über manche Hürde hinweg.

Der „Jugend musiziert“-Regionalwett-bewerb West ist den Eleven ein willkommener Anlass, eigenes Können mit dem der anderen zu messen. Die Ältesten sind 24 (Kategorie „Alte Musik“), der Jüngste sechs Jahre: Till Pistiak aus Potsdam, er spielt Cello. Als Konkurrenten fühlen sie sich nicht, eher wie eine große Familie. Und so ist u.a. im Nikolaisaal und Altem Rathaus, in der Städtischen Musikschule am Wochenende kräftiges Daumendrücken angesagt gewesen. An allen Orten treffen die Punktesammler von der aufgeregten Oma über den besorgten Lehrer bis zum mitfühlenden Mitstreiter auf ein sachkundiges Publikum.

Unterm Dach des Nikolaisaals wetteifern die Klavier/Holzbläserpaare um die höchsten Punktzahlen. Wie Anna Morgenroth (Klarinette), die von Ekaterina Bauer am Flügel begleitet wird. Ein eingespieltes Team. Immer wieder werfen sie sich in den Satzpausen einer Honegger-Sonate aufmunternde Blicke zu. Die Erleichterung steht ihnen ins Gesicht geschrieben, als der letzte Ton verklungen ist. Hat es fürs „Treppchen“ gelangt? Jury-Mitglied und Kammerakademie-Klarinettist Matthias Simm hat einige Bedenken. „Ein zweifellos ausdrucksstarkes Duo, doch der Ton der Klarinette hat zu wenig Kern, ist kaum differenziert im Klang.“ Er wird es ihr später direkt sagen. Wie denn überhaupt alle Wettbewerber begierig auf die Auswertungsgespräche sind. Je ausführlicher desto besser. Die mit den tiefen Streichern sollen sich am Freitag bis in die Nachtstunden hingezogen haben. Staffelübergabe an die Querflöte, an die Potsdamerin Marie Luise Ludewig nebst Gefährtin Sophie Binder. Munter perlen die Flötentöne, unterstützt vom Auf und Ab in den Kniekehlen. Nein, die werden ihr nicht weich, sondern geben dem Fluss der Melodien zusätzliche Unterstützung.

Im Alten Rathaus haben die Vokalensembles ihr Domizil gefunden. Vom Duett bis zum Quintett ist dort ausschließlich Ensemblegesang angesagt. Ulrike Schneider und Anne Schubert (beide Sopran) sowie Bassist Paul Zeuke singen a cappella und intonationssicher den „Lustigen Mai von Hans Chemin-Petit herbei, offenbaren in der Schütz-Weise „Herr, wenn ich nur dich habe“ verinnerlichte Seiten, um schließlich in Mozarts „Bandel“-Terzett zusätzlich mit Spielbegabung zu begeistern. Fast schon als Profis zeigen sich vier Männerstimmen nebst einem Alt, die quasi als Potsdam-Harmonists die Hits der vorbildgleichen Comedian Harmonists von der „Kleinen Frühlingsweise“ bis zum „Kleinen grünen Kaktus“ mit anspringender Lust am Singen und witzigen Gestalten vortragen.

Solchen Ausdruck von Seelenbefindlichkeiten versagen sich die Akkordeonisten, die in der Musikschule wettstreiten. Konzentriert bedient Bettina Haseloff ihre Knopfharmonika, auf der sie vielgestaltige „Clowns“Gesichter in farbenreichem Spiel entstehen lässt. Auf dem Pianoakkordeon spielt die Potsdamerin Cornelia Littmann u. a. eine Scarlatti-Sonate und einen Piazolla-Tango. Glücklich sieht sie dabei nicht aus. Hat sie sich zuviel zugemutet? Dass man mit Musik auch eigene Gefühle ausdrücken kann, müssen sie noch lernen. Der „Jugend musiziert“-Wettstreit wurde am Abend mit der Siegerehrung im Nikolaisaal beendet.

Peter Buske

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