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Kultur: Wie Münchhausen auf die Kanonenkugel kam

Neues Buch zur Geschichte der Filmtechnik in den Babelsberger Filmstudios vorgestellt

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Neues Buch zur Geschichte der Filmtechnik in den Babelsberger Filmstudios vorgestellt Von Moritz Reininghaus Obwohl ohne ihre Erfindungen viele große Filme der vergangenen hundert Jahre niemals das Licht der Leinwand erblickt hätten, führen Tricktechniker in der sonst glitzernden Filmwelt ein Schattendasein. Um die kinematographische Illusion nicht zu durchbrechen, blieben sie oft sogar im Abspann unerwähnt. Dabei war es immer wieder die Erfindungsgabe des Kamera- und Trickpersonals, die die Visionen der Regisseure das Laufen lehrte. „Wie haben Sie“s gemacht?“ lautet daher die Frage, die Uwe Fleischer und Helge Trimpert sieben Babelsberger Vertretern dieser Zunft stellten, deren Schaffen weltweiten Einfluss auf die Filmindustrie hatte. Aufklärung erhält der Leser in realen und fiktiven Interviews. Ausgehend von Guido Seeber, der den Grundstein für die Zukunft der heutigen Medienstadt legte und maßgebliche Neuerungen in die junge Filmkunst einführte, erläutern die Autoren kenntnisreich und unterhaltsam, unterstützt von zahlreichen Modellskizzen, die Geschichte der Tricktechnik. Dank Seebers „Doppelgängeraufnahme“ saß sich Paul Wegener im Student von Prag (1913) scheinbar selbst gegenüber. Wenig später erlaubte es Eugen Schüfftans Verfahren, Schauspieler in Modellkulissen einzuspiegeln. Dieser simple Trick setzte filmhistorische Maßstäbe, so in Fritz Langs „Metropolis“ von 1927. Fast 70 Jahre lang war der „Schüfftan-Spiegel“ Inbegriff dieser Technik. Die folgenden Jahrzehnte brachten eine rasante Fort- und Neuentwicklung des Trickarsenals. 1942 gelang es Gerhard Huttula mithilfe der Rückprojektionstechnik, Hans Albers auf einer Kanonenkugel reiten zu lassen, 1953 half Ernst Kunstmann bei der volkseigenen DEFA mit der gesamten nun zur Verfügung stehenden Bandbreite tricktechnischen Schaffens dem „Kleinen Muck“ auf die Sprünge. Kurt Marks, der die Nachfolge des geheimniskrämerischen Kunstmann antrat und Schüfftans Spiegeltrick in der Geschichte vom Goldenen Taler 1985 zu neuer Blüte verhalf, erinnert sich gern an seine Zeit bei der DEFA. Der 71-Jährige äußerte sich bei der Pressevorstellung des Buches im Filmpark eher bescheiden zur Bedeutung der tricktechnischen Arbeit für die Spielfilmgeschichte, geriet aber beim Thema 70mm-Film, der auch dem Tricktechniker ungeahnte Dimensionen eröffnete, und in der Erinnerung an die Science-Fiction-Filme der DEFA ins Schwärmen. Nach 1990 wurden die Trickstudios der DEFA geschlossen, die Mitarbeiter entlassen. An vielen Stellen verdrängte die sich rasch entwickelnde digitale Bildbearbeitung die traditionelle, oft phantasievolle und facettenreiche Tricktechnik. Das Buch, das Fleischer und Trimpert mit Unterstützung der DEFA-Stiftung vorgelegt haben, entreißt die Kinomagier hinter so manchem Film dem Vergessen und vermittelt deren Enthusiasmus den Rezipienten digitaler Bilderwelten. Das Erbe von Seeber, Schüfftan und ihren Nachfolgern ist mehr als der Mythos einer vergangenen Ära, der bisweilen die Studenten der Hochschule für Film und Fernsehen inspiriert. Autor Uwe Fleischer, von 1981 bis 1994 selbst Chef der DEFA-Trickabteilung, verweist nicht ohne Stolz darauf, dass man sich heute in Babelsberg darauf verstehe, die großartigen Erfindungen der Väter mit modernster Technik zu verbinden. Uwe Fleischer/Helge Trimpert; „Wie haben Sie“s gemacht? Babelsberger Kameramänner öffnen ihre Trickkiste.“ Schüren Verlag, 2004. 176 Seiten; 19,90 Euro. Heute um 18 Uhr wird das Buch auch im Filmmuseum präsentiert. Anschließend läuft der Film „Die Geschichte vom goldenen Taler“.

Moritz Reininghaus

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