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Kultur: Wilhelm und Wilhelmine

Lesung im Marmorpalais aus dem Briefwechsel „Ich küsse dir in Gedanken...“

Stand:

„Mir und mich verwechsl’ ich nicht, das kommt bei mich nicht vor!“, spottet ein rechtschaffener Orthographenspruch. Immerhin, am muttersprachlichen Vermögen seines Oheims Fridericus gemessen, sind die Deutschkenntnisse Friedrich Wilhelm II. sogar respektabel. Trotzdem beschreibt eine Hohenzollernfreundliche Stammes-Chronik den Fridericus-Nachfolger als undiszipliniert und „mit bewegtem Liebesleben“, was nicht nur die gesellschaftlich unerhörte Scheidung von seiner Ersten, Elisabeth von Braunschweig, bezeugt, auch die Sache mit Mätresse Wilhelmine von Encke, später „Gräfin von Lichtenau“, gehört dazu.

Eine Bagatelle von vielen für den preußischen Bock, der die linksrheinischen Gebiete verspielte, ein Religions-Edikt erfand und 1793 das Brandenburger Tor erbauen ließ. Für das etwa vierzehnjährige Wäscherinnenkind Wilhelmine Horster aber war es anfangs Liebe, blinde, große Liebe zu dem mehr als dreißig Jahre älteren Monarchen, später dann nur noch Vernunft. Ihr geheimer Briefwechsel aus den Jahren 1793 bis 1797 sollte eigentlich vernichtet werden. Nicht weil es darin vor orthographischen Blüten wie „... es ist recht scharmant von dich“ nur so wimmelt, sondern, klar, wegen der ohnehin längst lädierten Familienehre. Jetzt liegen Wilhelm und Wilhelmines Liebesbriefe in einer reizvollen Buchausgabe mit hohem Lese- und Geschenkwert vor.

Achtzehn sind vom König geschrieben, siebzehn von ihr, dazu etwas Begleitkorrespondenz an den „Werthgeschätzten Herrn Geheim Cämmerir“ Johann Friedrich Ritz, Ex der anderen Wilhelmine, von Lichtenau. Er hatte zu sorgen, dass ihre untertänigst an den König gerichteten Bitten auch ausgezahlt und eingelöst wurden.

Es war, wie es immer ist: Zuerst die Affäre platonisch, weil der König als Feldherr in Mainz oder vor Warschau steht, dann die Verwirklichung des Begehrens, wobei das Mädchen extra in den „Neuengarten“ einquartiert wurde. Sie wusste genau, was sie tat, erbat eine Stellung für ihren Vater, was die Entlassung eines anderen Mühlenaufsehers bedeutete. Dann für sich und ihr überschuldetes Haus, sogar für ihren Gatten, als die königliche Affaire sich abgekühlt hatte. Ganz schön clever, würde man sagen, aber der „vielgeliebte“ Friedrich Wilhelm hatte es ja nicht anders verdient. Er gab, was sie forderte. Wie diese merkwürdige Correspondence so vieles offen lässt, so verwehen auch Wilhelmine Horsters Spuren in der Zeit.

Im Auftrag der Kustoren vom Marmorpalais ward Hans Jochen Röhrig gebeten, diesen amüsanten Briefwechsel in eine literarisch-musikalische Form zu bringen. Sie wurde am Sonntag in bewährter Art vor fast sechzig Besuchern im Musiksaal des 30-Zimmer-Schlosses präsentiert. Am Spinett begleitete Inge Lindner den musikalischen Teil, Arien und anderes aus der „Zauberflöte“, gesungen vom Altmeister der kleinen Form und von der Schauspielerin Caroline Lux. Die Texte teilte man sich: Der Dame gefiel es, nach Wilhelminens Art zu schnurren, zu betteln, zu fordern, der Herr brachte mal militärische Kurztöne, mal königlichen Unwillen, mal väterliche Nachsicht aufs Parkett, was blieb dem armen Kerl denn übrig? Sie hatte ihn doch in der Hand. Dann aber geriet der Briefwechsel ins „Hofarchiv“, von dort retour ins Marmorpalais - wo man ihn nun wieder mit wachsendem Vergnügen sah und hörte.Gerold Paul

Gerold Paul

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