Kultur: „Wir alten Männer“
Winfried Glatzeder las im Hans Otto Theater
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„Live is life“ hätte man die zwei Ostersonntag-Abend-Stunden mit Winfried Glatzeder im Neuen Theater vielleicht auch übertiteln können. Für ihn war diese mit kurzen Filmausschnitten garnierte Veranstaltung so etwas wie eine gutbezahlte Pflicht, für das Hans Otto Theater ein „Osterei“ an das Publikum, für den halb gefüllten Saal eine recht vergnügliche wie intelligente Lehrstunde in Sachen Glatzeder.
Was wollte man mehr bei der zweiten Reprise? Seitdem der Mann diese „Paula“ traf, hat er seine Legende ja weg, der größte Teil seines Lebens liegt hinter ihm, die Biographie („Paul und ich“, Aufbau Verlag) ist geschrieben, nun freut er sich der 63-jährige Schauspieler auf die „Pension“.
Sein Auftritt war teils Lesung, mehr war sie „live“, denn er gab die Kapitel häppchenweise, unterbrach immer wieder, um zu kommentieren, zu ergänzen, zu repetieren oder listig infrage zu stellen. Ein Live-Abend ganz seines Geistes, gemischt aus Professionalität, Eitelkeit und etwas Egozentrik, die sich durch Selbstironie gut zu korrigieren versteht: Schon nach Plenzdorfs „Legende“ ging er ja mit dem Passus „neigt zu satirischer Darstellung“ in das Film-Lexikon ein.
Er begründete auch, warum er „so eine merkwürdige Person geworden“ sei. Die Kindheit! Gezeugt von einem unbekannten Vater mitten im Kriege, geboren im April 1945 in Zoppot, Flüchtlingskind „mit verschissenen Windeln“ auf einem Leiterwagen, großgezogen von Großeltern und Mutter, ins Kinderheim gesteckt, wenn der Opa – Bürgermeister von Berlin-Lichtenberg – auf Werbereise für die junge DDR ging. Nachdem seine Mutter von einer Geisteskrankheit und TBC geheilt war, erlebte das Kind viele Männer bei ihr. Sein künstlerisches Werden „begann“ mit dem Besuch einer Schauspielerin, welche behauptete, mit einem Schnäuzer schon hundert Mark verdient zu haben. Gesellschaftliche Arbeit im Betriebskabarett ersetzte seine Berufsausbildung mit Abitur dann ein wenig, „die Kollegen klatschten da auch noch!“ 1982 war es dann soweit. Honecker war endlich überzeugt, dass Glatzeder für den Sozialismus einfach nicht tauge. In Westberlin aber – kannte ihn keiner.
Alles live: Dieser Schauspieler weiß, wie man eine leere Bühne ausfüllt und wie man das Publikum beherrscht, indem man ihm Freiheiten zuspricht, die man selbst steuert. Er kokettierte mit den „alten Männern“ seiner Jahrgänge, erwähnte nebenbei, mit welchen Größen er zusammengearbeitet hatte, lobte das ihm seit vierzig Ehejahren angetraute Weib („das Kostbarste im Leben, jemanden gefunden zu haben“), plauderte über das Buch („mein Kind“), wofür ihn der Verlag jetzt in die Pflicht nimmt, denn man habe „das Ostergeschäft verschlafen“.
Immerhin sei die erste Auflage weg, es fehle an Nachschub, doch um das autobiographische Pendant von Angelica Domröse zu erreichen, müssten noch zehntausend Stück verkauft werden. Dafür habe er mehr abgesetzt als ein Thomas Bernhard, ätsch! Warum „wir alten Männer nur so merkwürdig sind...“ Dann musste eine Dame raus, Glatzeder sofort: „Sie wollen schon gehen, das find“ ich gemein!“ Nein, sie kam ja bald wieder.
Der zweite Teil war der „Legende von Paul und Paula“ gewidmet. Auf dem Boden sitzend, kommentierte er die Liebesszenen, und wie er sich genierte: „Da saßen immer dreißig Leute drumrum und taten, als ob sie nicht da wären“. Über seine Filmpartnerin sagte er: „Die Domröse wusste, was sie tat, ich war mit meinen 27 Jahren blöd“. Alles wie im richtigen Leben – und ungeheuer live.
Gerold Paul
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