Kultur: „Wir gehn gemeinsam bis ans Ende“
Ernst und Eva – eine Liebesgeschichte Offizierstochter blieb Widerständler des 20. Juli 1944 über dessen Hinrichtung hinaus treu
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Ernst und Eva – eine Liebesgeschichte Offizierstochter blieb Widerständler des 20. Juli 1944 über dessen Hinrichtung hinaus treu Von Erhart Hohenstein Als Eva von Heeringen im Januar 1945 letztmals ihren Geliebten Ernst von Harnack im Gefängnis besuchte, tröstete sie ihn mit den Worten, vielleicht werde es ja nicht so schlimm und er komme mit dem KZ davon. Konsterniert über soviel Naivität antwortete Harnack: „Na, hoffentlich geht“s schneller.“ Am 1. Februar wurde er zum Tode verurteilt, am 5. März in Plötzensee hingerichtet. Damit endete nicht nur das Leben eines Widerständlers gegen Hitler, sondern auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Die 1907 geborene Tochter des Generalstabsoffiziers Kurt von Heeringen hatte im Kaiserin-Augusta-Stift und mehreren privaten Lyzeen keinen Schulabschluss erreicht. Nach Ausbildungen in einer Haushalts- und einer Kinderturnschule arbeitete sie als Sekretärin. Schließlich eröffnete sie in Berlin eine Leihbücherei. Hier lieh sie verbotene Literatur aus, verweigerte den Hitlergruß und versteckte flüchtige Juden. Diese Aktivitäten zivilen Widerstands verbarg Eva von Heeringen geschickt vor den nationalsozialistischen Machthabern. Ihr Vater, der 1933 nach der Pensionierung mit seiner Familie das Gartenkassenhaus in Sanssouci bezogen hatte, sprach unter Anspielung auf ein Bibelwort resigniert von einer „ungeratenen Tochter“, die wohl keinen Mann bekommen würde. 1937 lernte Eva dann aber bei einer Vortragsveranstaltung den fast 20 Jahre älteren Ernst von Harnack kennen. Da hatten sich zwei Menschen gesucht und gefunden. Harnack, der nach seinem Jurastudium von 1918 bis 1921 bei der Provinzialregierung in Potsdam arbeitete, zuletzt als Referent des Kultusministers, kämpfte schon in dieser Zeit gegen soziale Missstände und Ungerechtigkeiten an. Dafür nutzte er auch die kurze Tätigkeit als Stadtverordneter der SPD, der er 1919 zum Missfallen seiner Familie beigetreten war. Seine Karriere, die bis zum Regierungspräsidenten des Bezirks Halle-Merseburg führte, wurde durch die nationalsozialistische Machtübernahme jäh beendet. Fortan betreute er in seinem privaten Beratungsbüro in Berlin juristisch Juden und andere Verfolgte des Naziregimes, was ihm bereits im Juli 1933 eine mehrwöchige Haft einbrachte. Harnack war mit führenden Köpfen des Widerstands wie Julius Leber, Goerdeler, Generaloberst Beck, Bonhoeffer und von Dohnanyi bekannt oder befreundet. Sein Berliner Büro wurde zum Treffpunkt der Verschwörer; berufsbedingte Reisen nutzte er, um Nachrichten zu überbringen. Diese Verbindungen konnte auch der Volksgerichtshof nicht detailliert aufklären. Mitwisserschaft und Billigung der Umsturzpläne vom 20. Juli 1944 reichten ihm aber aus, um Ernst von Harnack zum Tode zu verurteilen. Nach dem Kennenlernen 1937 führte die hohe geistige und politische Übereinstimmung mit Eva von Heeringen bald zu einem Liebesverhältnis, obwohl Harnack seit 1917 verheiratet war und fünf Kinder hatte. Das Paar reiste gemeinsam in den Urlaub und traf sich u. a. in Sanssouci. Dort wohnte Evas Mutter Eleonore von Heeringen nach dem Tod ihres Mannes weiterhin im Gartendirektionsgebäude. Als Evas Leihbücherei 1943 in Berlin ausgebombt wurde, half Harnack ihr beim beruflichen Neuanfang im thüringischen Rudolstadt, indem er für den Transport geretteter und in Potsdam zwischengelagerter Bücher und Möbel sorgte. Eva und Ernst tauschten in Hunderten von Briefen ihre Gedanken und Gefühle aus. „Er ist anspruchsvoll, ungeduldig und reizbar und zu klug, das heißt er tut vieles mit dem Kopf, was er besser mit dem Herzen täte...“, vertraute Eva ihrer Mutter an. „Es ist ja keine Gefühlskälte, sondern er kann es nicht zeigen ... Er ist ein prachtvoller Kerl, für den es sich lohnt zu leben.“ All die detaillierten Angaben über diese Beziehung sind dem Bremer Historiker Dr. Gerhard Knoll zu verdanken. In Teltow aufgewachsen, half er als junger Mann Anfang der 50er Jahre Eva von Heeringen in ihrer wiedereröffneten Berliner Leihbibliothek und gewann ihr Vertrauen. Die 1985 Verstorbene übereignete ihm ihren Nachlass. Knoll, dessen Spezialgebiet die Zeit Friedrichs des Großen ist, hält die Erinnerung an Ernst und Eva durch Veröffentlichungen und Vorträge – so kürzlich vor der Studiengemeinschaft Sanssouci – wach. Auf die Briefe Evas an Ernst konnte er dabei bisher nicht zurückgreifen, denn die werden durch die Familie von Harnack unter Verschluss gehalten. Darf ein Held des Widerstandes eine Geliebte haben? Mitte der 80er Jahre wurden auf dem Familiengrab der von Heeringen auf dem Bornstedter Friedhof Gedenktafeln für Ernst und Eva enthüllt. Sie beziehen sich allerdings nicht auf die Liebesbeziehung, sondern würdigen zwei Vertreter des oft unterschätzten zivilen Widerstandes gegen die Nazidiktatur. Großherzig handelte, als Ernst von Harnack Ende 1944 verhaftet wurde, seine Ehefrau Anna. Sie nahm Kontakt mit Eva von Heeringen auf, die für einige Wochen nach Potsdam gekommen war. „Ach, wir tragen doch beide das gleiche Leid“, begründete sie diesen Schritt, und Eva schrieb an Ernst: „Deine Frau hat mich ganz für sich eingenommen.“ Beide versuchten nach ihrem Treffen gemeinsam, durch Besuche, Briefe, Buch- und Lebensmittelsendungen das Los des Häftlings zu erleichtern. Kurz vor der Hinrichtung rief Anna verstört in Potsdam an, man habe ihren Ehemann ganz plötzlich weggebracht und ihr nicht gesagt wohin. Seiner geliebten Eva hatte Ernst von Harnack bereits am 8. Februar 1945 Lebewohl gesagt: „Wie auch mein Pfad sich ferner wende – wir können uns nicht wieder trennen, wir gehn gemeinsam bis ans Ende.“
Erhart Hohenstein
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