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Kultur: „Wir Musiker sind Schauspieler“

Benjamin Schmid spielt am Samstag Mendelssohn-Bartholdys berühmtes Violinkonzert

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Herr Schmid, Sie haben sich für Ihren Auftritt am Samstag im Nikolaisaal einen äußerst schlechten Zeitpunkt ausgesucht.

Ich wüsste jetzt nicht, warum, aber Sie werden es mir bestimmt gleich erzählen.

In Potsdam finden gerade die Musikfestspiele Sanssouci im Zeichen von Joseph Haydns 200. Todesjahr mit zahlreichen Konzerten statt. Da ist der Potsdamer Klassikfan im Grunde schon restlos ausgebucht.

Da wäre ich mir nicht so sicher.

Zumindest haben Sie Felix Mendelssohn-Bartholdy im Programm, ein Komponist, mit dem in diesem Jahr auch ein Jubiläum verbunden ist. Mendelssohn-Bartholdy wurde vor 200 Jahren geboren. Sie spielen am Samstag zusammen mit der Kammerakademie dessen berühmtes Violinkonzert e-Moll op. 64. Wobei das Attribut „berühmt“ derzeit doch nur noch inflationär verwendet wird.

In diesem Fall muss ich Ihnen widersprechen. Ich glaube, es wird deswegen als berühmtes Violinkonzert bezeichnet, weil es den Möglichkeiten der Violine doch sehr, sehr entgegenkommt.

Das sollte doch bei einem Violinkonzert das Mindeste sein.

Ja, aber schon mit dem ersten E-moll-Thema bricht es sich seine Bahn. Gleich von der Solovioline vorgetragen, ohne Orchester und ohne lange Exposition und wird so dem Zuhörer sogleich unvergesslich eingeimpft. Ein Thema, das dann auf viele Arten sehr figurativ von der Geige umspielt wird. Dabei immer in einer unheimlich passenden Art auch für die Geige geschrieben, die nicht nur das virtuoseste aller Streichinstrumente ist, sondern schlechthin das Instrument, das zwei Töne am allerschönsten verbinden kann. In diesem Sinne ist das Violinkonzert e-Moll das gefundene Fressen für alle, die gute Geigenmusik hören wollen.

Ein E-moll-Thema, von dem eine melancholische Leichtigkeit ausgeht. Diese Leichtigkeit erstaunt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Mendelssohn-Bartholdy sechs Jahre gebraucht hat, bis er das Konzert beenden konnte.

Ja, das war ein Thema, das Mendelssohn-Bartholdy sehr lange im Kopf herumgeistert ist. Dann folgt aber dieser wunderbare C-Dur-Satz, der das Ganze aus seiner Tragik ein bisschen herausholt und aufhält. Am Schluss dann ein E-Dur-Finale, das an Virtuosität keine Wünsche übrig lässt, dabei aber immer in einer Leichtigkeit bleibt, die an einen Sommernachtstraum erinnert.

Ein jedes solcher Konzerte birgt auch ein gewisses Geheimnis, das der Musiker entschlüsseln muss. Wie stellt es sich bei Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert dar?

Als Geheimnis dieses Konzerts, neben dem ersten E-moll-Thema, würde ich Mendelssohn-Bartholdys Art bezeichnen, die Geige immer als ein sehr elegantes Instrument einzusetzen. Eleganz ist durchaus auch ein Schlüsselwort für dieses Stück, das im ersten Moment sehr intensiv wirkt, aber auch durch ganz hohe Instrumentationskunst einfach sehr transparent gehalten wird und so dem eleganten Geist der Violine entspricht.

Dieses Konzert gilt auch als eines der meistgespielten überhaupt. Wird es Ihnen da nicht langweilig, sich in die Reihe der zahllosen Interpreten einzuordnen und dabei vielleicht sogar übersehen zu werden?

Es ein geradezu erklärtes Ziel von mir, Partituren, die ich oft in die Hand nehme und auch oft spiele, immer wieder etwas Neues abzugewinnen. Das ist irgendwie auch das Wunder an den großen Konzerten und Kunstwerken der klassischen Musik, dass die Partituren so komplex und so reichhaltig sind, dass wir ihnen tatsächlich immer wieder neue Facetten abgewinnen können. Das ist jedem großen Kunstwerk immanent: Auf der einen Seite sagt es etwas über seine Zeit aus, auf der anderen berührt es immer noch heute.

Welche Stelle nimmt der Künstler ein? Ist er der Solist, dem jede Freiheit offen steht oder bleibt er immer nur Diener am Werk des Komponisten?

Ich bin da ein alter Verfechter von früheren Ideologien, die besagen, dass man immer zuerst versuchen sollte, dem Komponisten gerecht zu werden. Jede alte Komposition, wir sprechen hier von einem Werk, das vor über 150 Jahre geschrieben worden ist, wird natürlich nur durch unser heutiges Spiel wieder lebendig. Trotzdem müssen wir den größten Teil der Vorbereitungszeit und der Recherchearbeit dem widmen, was von Mendelssohn- Bartholdy hinterlassen wurde. Und das ist in erste Linie eine großartige Partitur, die an sich aber immer nur eine Krücke ist für das, was dann Musik werden soll.

Und wie nutzen sie diese Krücke?

Ich sehe mich da in der Rolle des Dolmetschers, weil ich die Partitur lesen und sie auf der Geige zum Klingen bringen kann. Aber wie bei jeder guten Übersetzung gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine bestimmte Idee des Komponisten auszudrücken.

Da bringt dann also der Solist sich selbst ins Spiel?

So lange, wie es sich im Willensbereich des Komponisten bewegt, bin ich für diese Form der Entscheidungsfreiheit. Wo ich darüber hinaus selber durch Crescendi und Ritardandi nachhelfe, bin ich zuerst immer sehr, sehr lange ganz vorsichtig. Aber in den letzten Tagen vor einem Konzert, wenn alles in Fleisch und Blut übergegangen ist, sowohl Emotionen als auch Handwerk, dann lasse ich auch den Benjamin Schmid in dieses Stück hinein und versuche durch meinen persönlichen Input dem Ganzen noch mehr Lebendigkeit und noch mehr Vermittelbarkeit zu verschaffen.

Da verlangen Sie sich sehr viel ab.

In erster Linie sind wir als Musiker auch Schauspieler, die in eine Rolle schlüpfen müssen, die ganz große Meister unseres Planeten hinterlassen haben und die wir interpretieren dürfen.

Sie haben dieses Violinkonzert schon weit über 80 Mal gespielt. Wie intensiv sehen Ihre Vorbereitungen aus?

Es wird mit der Zeit schon leichter, wenn man ein solches Werk oft gespielt hat. Allerdings gibt es immer wieder ein Ringen und eine bewusste Anstrengung, die Dinge ganz aktuell und ganz elementar zu halten. Denn eine Routinevorstellung, bei der ich alles runterleiere, was ich schon kann, wollen wir ja nicht. Wir wollen was erleben und eine Message bekommen vom Herrn Mendelssohn-Bartholdy.

Also doch intensives Üben?

Ja, dabei ist diese Vorbereitung viel profaner, als mancher sich das vorstellt. Da geht es in erste Linie um Fingersätze und Bogenstriche. Die sind beim Geigenspiel die Grundlage einer jeden Interpretation. In den ersten Wochen ist das ein sehr organisatorischer Prozess, bei dem man sich auf die besten technischen Möglichkeiten einpendelt. Sind die gefunden, braucht man nur noch üben. Natürlich geht es dabei immer ständig hin und her zwischen technischen Möglichkeiten und musikalischen Visionen. Je mehr Vorstellungen, je mehr Assoziationen und je mehr Farben ich aus einer Partitur herauslesen kann, also nicht hinein interpretiere, desto stärker wird die Wirkung sein. Da ist die klassische Musik, so wie ich sie betreibe, eine Vorbereitungskunst. Da hat Geige spielen sehr viel mit gutem Handwerk zu tun.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Benjamin Schmid spielt am Samstag, 20. Juni, zusammen mit der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Michael Sanderling um 20 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Str. 10/11. Der Eintritt kostet zwischen 8 und 22 Euro.

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