
© Yann Slama/Unidram
Kultur: „Wir sind mehr Risiken eingegangen“
Jens-Uwe Sprengel über junges Theater und neue Wege bei Unidram, das am Dienstag beginnt
Stand:
Herr Sprengel, im vergangenen Jahr beging das Internationale Theaterfestival Unidram mit einem besonderen Programm sein 20-jähriges Jubiläum. Worauf haben Sie in diesem Jahr den Schwerpunkt gelegt?
Nach dem Jubiläumsfestival mit einigen nicht nur bei Unidram bereits gut etablierten Theatern haben wir in diesem Jahr ein sehr junges Programm. Von den elf eingeladenen Inszenierungen sind insgesamt neun zum ersten Mal auf deutschen Bühnen zu erleben. Einige der Gruppen sind überhaupt das erste Mal in Deutschland zu Gast. Außerdem haben wir natürlich wieder auf den Mix unterschiedlicher Formen geachtet. Zu sehen ist in der kommenden Woche in der Schiffbauergasse neben visuellem Theater auch Bewegungs-, Körper-, Musik- und Figurentheater.
Haben Sie sich bewusst dieses Jahr für jüngere Theatergruppen entschieden?
Nicht von Anfang an, aber nach einer ersten Sichtung der rund 300 Videobewerbungen fanden wir vor allem die Inszenierungen spannend, die von jüngeren Künstlern kamen. So sind wir bewusst mehr Risiken eingegangen, um mehr ausprobieren zu können und auch mal neue Wege einzuschlagen. Wir wollten so noch stärker das große Potenzial nutzen, das sich dadurch ergibt, dass das Publikum an einem Abend mehrere sehr unterschiedliche Stücke sehen kann. Bisher profitierte das Festival sehr von diesen Überraschungsmomenten und dem Aufeinandertreffen ganz unterschiedlicher Sichtweisen.
Also bestehen diese neuen Wege in einem Mehr an jedem Abend?
Da wir das Festival auf fünf Tage komprimiert haben, besteht für den Besucher jeden Abend, außer am Eröffnungstag, die Möglichkeit, sich mehrere Stücke anzusehen. Bei der Anordnung dieser Stücke haben wir darauf geachtet, dass diese möglichst unterschiedlich konzipiert sind.
Seit 20 Jahren sind Sie bei Unidram aktiv. Wie hat sich in dieser Zeit das Theater verändert?
Die Zusammensetzungen der Theatergruppen ist viel internationaler geworden. Es gibt eine Vielzahl von Kooperationen von Künstlern unterschiedlichster Nationalität. Gleichzeitig öffnen sich die Theater immer mehr, sind einfach freier in ihrem Umgang mit Medien und Mitteln. Live-Musik beispielsweise wurde immer mehr zu einem szenisch integrierten Bestandteil. Figuren-, Objekt und Materialtheaterformen werden in andere Theaterformen ganz selbstverständlich integriert.
Und welche Themen werden in den Inszenierungen verhandelt?
Das thematische Spektrum ist nach wie vor sehr groß und liegt zwischen sehr subjektiven Reflexionen zu Fragen der eigenen Identität, zum Tod, zur Vergänglichkeit in oft eher assoziativen Bilderwelten auf der einen und ganz klaren gesellschaftlichen Positionierungen und aktuellen Bezügen auf der anderen Seite.
Unidram eröffnet am kommenden Dienstag mit „Amor Fati“ der französischen Gruppe Théâtre du Balèti. Der Titel bezieht sich auf das lateinische Zitat „Liebe zum Schicksal“, mit dem Friedrich Nietzsche den höchsten Zustand, den ein Mensch durch Bejahung des Notwendigen und Unausweichlichen erreichen kann, umschreibt. Was erwartet den Zuschauer?
„Amor Fati“ ist ein großes Bildertheaterspektakel, eine unglaublich komplexe Inszenierung einer ganz jungen Gruppe, die mit dem Stück sehr viel wagt und Theaterformen und Stile mischt, wie man das so normalerweise nicht erwarten würde. Das ist extrem vielfältig, hat so viele unterschiedliche Spielebenen, angefangen von rein visuellen Tanzbildern über Sprechtheatersequenzen bis hin zur Musik. Die Ausgangsidee, dass Jesus vom Kreuz steigt und durch die gegenwärtige Gesellschaft geht, klingt zunächst vielleicht etwas banal. Aber aus der Skepsis, mit der wir uns als Zuschauer diesem Stück dann nähern, kann sich eine immer größere Begeisterung entwickeln. Das liegt zum einen an der gelungenen Zuspitzung und Überhöhung vieler Szenen. Andererseits entsteht durch die Länge der Inszenierung – Amor Fati dauert etwas mehr als zwei Stunden – Stück für Stück ein immer komplexeres Bild, und das mit einer sehr klaren Relevanz bezogen auf unsere Gesellschaft.
Unidram ist dafür bekannt, dass neben sehr opulenten und langen Stücken auch sehr kurze und minimalistische Aufführungen gezeigt werden.
Auch in diesem Jahr. Denn wir haben wieder einige recht spezielle Inszenierungen eingeladen, um der Vielfalt gerecht zu werden. Dazu zählt unter anderem „Freeze“, in der sich ein Performancekünstler mit der Schwerkraft auseinandersetzt und Steine zu Türmen übereinandersetzt. Dies geschieht als sehr einfacher, reduzierter Vorgang und wird immer nur vor einem kleinen Zuschauerkreis zu erleben sein, weil die besondere Qualität dieses Stückes sich erst über die Spannung zwischen Publikum und Akteur entwickelt. Außerdem gibt es mit „La Chaise d’Animation“ wieder eine Kurzinszenierung im Programm, die einen Abend lang en suite jeweils sechs Minuten immer nur für einen Zuschauer stattfinden wird. Solche Arbeiten lassen sich an einem normalen Theaterabend nur schwer zeigen, bei Unidram sind es dann aber Besonderheiten, die wichtig sind für die Ausstrahlung des Festival.
Sie haben in der Vorbereitung seit dem Frühjahr 300 Bewerbungsfilme gesichtet und sind seit Monaten mit der Vorbereitung des Festivals beschäftigt. Verraten Sie uns Ihren Favoriten?
Ich freue mich besonders auf die biertrinkenden Frauen aus Tschechien von der Spitfire Company mit ihrem Stück „Antiwords“. Eine kleinere Inszenierung, aber unglaublich amüsant und unterhaltsam. Zwei Frauen auf der Bühne, die eigentlich Tänzerinnen sind, die überdimensionierte Köpfe tragen, die an monumentale Standbilder von Thälmann oder Stalin erinnern.
Und diese Frauen trinken Bier auf der Bühne?
Die trinken einen ganzen Kasten leer.
Bier, kein Wasser?
Ja, Bier. Dabei geht es aber nicht um ein reines Happening. Das Stück entstand auf der Basis von Václav Havels Stück „Audience“ von 1975 und so gibt es klare politische Bezüge. Für mich persönlich ist es aber ein Highlight, weil es so ein wunderbares Beispiel dafür ist, wie viel Spaß gut gemachtes Theater machen kann und vor allem, dass sich Experiment und Unterhaltung nicht ausschließen. So steht „Antiwords“ letztendlich auch beispielhaft für das gesamte Festivalprogramm, das sich zwischen genau diesen Polen bewegen wird.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Programm unter www.unidram.de
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