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Kultur: „Wir sind nicht wie Schauspieler alle Solisten“
Ein Gespräch über Durchsichtigkeit im Ensemble, Schwimmunterricht auf historischen Instrumenten und das Staunen über zehn Jahre Kammerakademie
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In der kommenden Woche wird die Saison im Nikolaisaal mit „10 Jahre und eine Nacht mit der Kammmerakademie Potsdam“ eröffnet. Im PNN-Interview blicken die Musiker Isabel Stegner und Peter Rainer auf diese Zeit zurück. In der kommenden Woche schaut Frauke Roth, Geschäftsführerin der Kammerakdemie, dann in die Zukunft und was die möglicherweise in den kommenden Jahren für die Kammerakademie bringen könnte.
Seit zehn Jahren sind Sie Musiker bei der Kammerakademie Potsdam. Von Schauspielern wird gesagt, dass sie nach einer gewissen Zeit das Ensemble wechseln sollten, weil sie sonst Gefahr laufen, auf der Stelle zu treten. Wie ist das bei Musikern?
Peter Rainer: Vier Jahre ist ein Rhythmus, den ich auch vom Unterrichten her kenne. Nach vier Jahren sollte man den Lehrer wechseln, weil in dieser Zeit gewisse Sachen verstanden sind oder sich eingeschliffen haben. Aber bei einem Ensemble wie der Kammerakademie besteht da keine wirklich große Gefahr, dass das zu routiniert wird, weil da immer wieder Einflüsse von außen kommen. Wir haben ja in einem ähnlichen Rhythmus immer unsere neuen künstlerischen Leiter gewählt. Dadurch wird das hier alles immer wieder aufgefrischt.
Isabel Stegner: Wir sind ja nicht wie Schauspieler alle Solisten auf der Bühne. Wir spielen zusammen und bilden ein Ensemble. Das ist ein Unterschied. Dieser Vorteil, eingespielt zu sein und zu wissen, was die anderen machen, ist schon ernorm. Und wie stark das mittlerweile ist, merke ich immer dann, wenn ein neuer Musiker dazukommt und der nicht reinpasst. Da merkt man erst, wie so ein Ensemble funktioniert.
Je länger also Musiker zusammen spielen, umso besser harmonieren sie im Ensemble?
Isabel Stegner: Ja, Schaupieler sind Solisten, aber je länger ein Ensemble zusammenspielt, umso mehr wächst es auch zusammen.
Peter Rainer: Obwohl der Anspruch bei der Kammerakademie natürlich auch ist, dass jeder Einzelne gefordert wird.
Und das bedeutet konkret für jeden Musiker?
Peter Rainer: Je kleiner und durchsichtiger das Ensemble, desto wichtiger wird jeder Einzelne und desto wichtiger wird das Engagement von jedem Einzelnen. Das ist nicht nur eine weiche, große Masse, sondern da fällt jede Akzentuierung, jedes Vibrato, jede Kleinigkeit auf.
Das alles nun schon seit zehn Jahren. In der kommenden Woche steht dieses Jubiläum zum Auftakt der Saisoneröffnung im Nikolaisaal im Mittelpunkt. Mit welchen Gefühlen schauen Sie zurück?
Isabel Stegner: Da ist so ein Erstaunen, wie sich das gehalten hat. Dass sich dieses Orchester so qualitativ entwickelt hat, so etabliert ist, damit hatte ich damals nicht gerechnet. Es ist wirklich ein Erfolg, dass alles so gelaufen ist.
Peter Rainer: Ja, manchmal suche ich alte Aufnahmen raus und bekomme dann einen Schreck, wenn da 2003 oder 2004 drauf steht und es kommt mir vor wie gestern. Die Zeit ging sehr schnell vorbei. Eine sehr bewegte und auch sehr lebendige Zeit.
Wenn Sie sagen, Sie sind im Rückblick erstaunt, dass dieses Ensemble sich so gehalten hat, dann schwingt da auch die heikle Situation der Anfangzeit mit. Als die Kammerakademie 2001 gegründet wurde, wurde die Brandenburgische Philharmonie abgewickelt. Was haben Sie damals erwartet?
Isabel Stegner: Es war einfach unklar, welchen Weg wir einschlagen. Es war aber schon so ein wenig nach dem Motto: Wir schaffen es trotzdem! Wir hatten damals unsere Abo-Reihe und ein bisschen was drum herum, es war relativ wenig. Und dann hat sich das immer weiterentwickelt und wie, das ist einfach nur wunderbar.
Ein wohl sehr wichtiger Punkt bei dieser Entwicklung war die Entscheidung des früheren künstlerischen Leiters Sergio Azzolini, dass die Musiker der Kammerakademie auch auf historischen Instrumenten spielen sollten.
Isabell Stegner: Also ich persönlich war sofort begeistert. Denn das wollte ich schon immer mal machen, hatte aber nie den richtigen Anlass dafür gefunden. Wir hatten ja auch schon vorher immer versucht, stilistisch vielschichtig zu sein. Aber mit dieser letzten Konsequenz, das kam erst mit Sergio Azzolini.
Peter Rainer: Das ist wirklich eine echte Bereicherung. Und es war auch sehr mutig, damals zu sagen, wir machen das jetzt. Im Grunde war das wie beim Schwimmunterricht: Ins Wasser schmeißen und losschwimmen. Und davon tragen wir bis heute Früchte.
Orchester, die sowohl auf modernen als auch auf historischen Instrumenten spielen, gibt es mittlerweile viele. Was aber ist ausschlaggebend, dass ein solches Orchester in diesen Bereichen auch an der Spitze mitmischen kann?
Isabel Stegner: Vorranigig die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Oft ist es ja so, dass in Orchestern so etwas angeordnet wird, aber die Leute wollen das eigentlich nicht und dann hört man das auch. Wir hatten auch harte Diskussionen. Aber letztendlich muss sich jeder auf seine Art darauf einlassen, sich auch außerhalb damit beschäftigen, was anderes versuchen. Und dann braucht man natürlich Zeit.
Peter Rainer: Unser erstes Konzert auf historischen Instrumenten war eine relativ katastrophale Erfahrung. Und heute fahren wir beispielsweise nach Weilburg und werden dort als Barock-Orchester ernst genommen. Da brauchen wir uns nicht mehr zu verstecken. Aber am Anfang war das wirklich schwierig. Für einen professionellen Musiker ist das ja in etwa so, als würde er noch einmal Student sein. Auch wenn wir uns mittlerweile sehr wohl fühlen auf diesen Instrumenten, das Herz der Kammerakademie schlägt aber immer noch vor allem für das moderne Instrumentarium.
Moderne Instrumente, historische Instrumente, wie finanzieren die Musiker in einem freien Ensemble wie der Kammerakadmie das überhaupt?
Peter Rainer: Eine gute Frage. Manchmal stelle ich mir vor, dass wir irgendwann einen schönen Flyer machen, auf dem steht: „Kammerakademie goes historic“ und dann eine ganze Reihe von Sponsoren dafür gewinnen. Zum Teil spielen wir auf Instrumenten, die einem viel abverlangen. Und nicht selten schimpft man dann und fragt sich, warum man jetzt wieder diesen Prügel von Bogen zur Hand nehmen muss. Da gibt es natürlich Bedarf und das kostet natürlich viel Geld. Und das ist es, was keiner in der Kammerakademie hat. Weil das, was wir dort verdienen, gerade so ausreichend ist, um sich über Wasser zu halten.
Ist Ihnen da nicht schon mal der Gedanke gekommen, ich gehe jetzt woanders hin?
Peter Rainer: Jeder muss seinen persönlichen Vergleich anstellen und sagen, was ihm wichtiger ist. Aber der Gedanke, dass man es vielleicht anderswo leichter haben könnte, kommt natürlich.
Isabel Stegner: Ja, solche Gedanken sind normal. Aber die Bindung zur Kammerakademie ist schon sehr stark. Und man muss diese Niesche wollen. Wir brauchen Leute, die auf diese spezielle Art bereit sind, Opfer zu bringen. Aber je älter man wird, umso wichtiger wird auch das Thema der Altersversorgung. Und das ist ein Punkt, wo vieles im Argen liegt.
Auf der einen Seite dieser hohe Anspruch, den Sie an sich stellen, auf der anderen diese unhaltbare Situatuion der schlechten Finanzierung.
Peter Rainer: Das ist immer ein Drahtseilakt. Ich hab mir Anfang des Jahres das linke Handgelenk gebrochen. Drei Monate konnte ich nichts machen. Da ging es richtig runter. Zum Glück ist das sehr gut und sehr schnell verheilt. Hätte ich mich komplizierter verletzt und wäre länger ausgefallen, ich will mir gar nicht vorstellen, was dann passiert wäre.
Seit vergangenem Jahr ist Antonello Manacorda künstlerischer Leiter der Kammerakademie. Und je öftter man Sie unter ihm spielen hört, umso stärker wird der Eindruck, dass die Kammerakademie mit ihm noch einen Sprung nach vorn gemacht hat.
Peter Rainer: Das stimmt.
Isabell Stegner: Ja, das klingt sehr gut.
Peter Rainer: Aber als Musiker ist man immer vorsichtig. Bloß nicht zu euphorisch sein, denn er fängt ja gerade erst an. Aber was bisher passiert ist, da kommen ein paar Sachen zusammen, die wir vorher so noch nicht erlebt hatten. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Antonello Manacorda lange Zeit Konzertmeister im Mahler Chamber Orchestra war und dass die Struktur dort so ähnlich ist wie bei uns. Aber es hat auch mit der Person Antonello Manacorda zu tun. Denn er versteht es, die Energien zu bündeln und das Beste aus uns herauszuholen.
Isabel Stegner: Es ist jetzt auch irgendwie entspannter als unter Sergio Azzolini und Michael Sanderling. Azzolini hat den Schwerpunkt auf das Barock gelegt. Bei Sanderling war das ganz klar das große symphonische Feld, das er ausbauen wollte. Jetzt ist da gar nicht mehr ein solcher Druck dahinter.
Peter Rainer: Ja, man hat sich gefunden und ist irgendwie angekommen. Aber wichtig ist: Ohne Sergio Azzolini und ohne Michael Sanderling gäbe es auch keinen Antonello Manacorda. Michael Sanderling hat da ganz viel an Orchesterspielkultur erarbeitet und Sergio Azzolini hat unheimlich viel an Kreativität und Klangsprache in das Ensemble gebracht.
Ganz am Anfang stand aber Peter Rundel.
Peter Rainer: Ja, da stand die Neue Musik im Vordergrund. Also ein Offensein für die ganz neuen Sachen. Und ich glaube, das wird jetzt auch wieder verstärkt unser Programm prägen.
Da fällt einem sofort die Reihe „KAPmodern“ ein.
Isabel Stegner: Ja, obwohl wir auch gern in den Symphoniekonzerten moderne Komponisten spielen würden.
Was Sie ja auch eine Zeitlang unter dem Programmpunkt „unerhört?gehört!“ getan haben.
Peter Rainer: Aber in der vergangenen Saison schon nicht mehr.
Isabel Stegner: Das Publikum, das in diese Konzerte kommt, möchte etwas anderes hören. Und das spielen wir auch für das Publikum. Wir möchten natürlich auch etwas vermitteln, aber auf keinen Fall wollen wir erziehen. Trotzdem würden wir in der Richtung moderne Musik gern mehr machen.
Peter Rainer: Ich merke, dass da auch die Bereitschaft bei den Musikern vorhanden ist. Aber um weitere Projekte anzustoßen, braucht es eine gewisse Ruhe im Ensemble. Denn die Kammerakademie allein kann für die Musiker nicht sorgen. Da ist so ein kreativer Rahmen vorhanden, wenn man da seine Kräfte voll einsetzen könnte, wären noch ganz andere Sachen möglich. Hier fehlt einfach die entsprechende finanzielle Sicherheit.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Mit „10 Jahre und eine Nacht mit der Kammerakademie“ beginnt am Freitag, dem 26. August, um 20 Uhr das Jubiläumswochenende im Nikolaisaal. Weitere Informationen zum Programm unter
www.kammerakademie-potsdam.de und www.nikolaisaal.de
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