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Kultur: „Wir wollen ein Eisbär sein“

Giftzähne vom Obelisk geben sich zum 30. flockig

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Alle Menschen brauchen Liebe. Selbst Kabarettisten, die ihre Witze auf Kosten anderer machen, suchen nach ihr. Tobt dann der Beifall, lacht das Parkett, so fühlt man sich wie Knut und Flocke, von allen gemocht und umworben. Trotz einer schwachen Programm-Dramaturgie haben Gretel Schulze, Helmut Fensch und Andreas Zieger diesen Ideal-Status am Samstag offenbar erreicht. Wie? Indem die drei Giftzähne nach 30 Jahren „Obelisk“ plötzlich behaupteten, flockige Kuscheltiere zu sein. Zwar voll, aber nicht ausverkauft, ging man in der Charlottenstraße also mit den gebündelten Energien einer langen Erfahrung auf Pirsch nach der verborgenen Himmelsmacht. Rhythmischer Applaus und etliche Zugaben von „Wir wollen ein Eisbär sein“ bestätigten dem Trio bei der Premiere letztendlich: Leute, auch Ihr seid geliebt. Na bitte.

Dabei trat das Kuschelbündel Ursus maritimus lange Zeit eher virtuell in Erscheinung. In seiner Langhaar-Perücke der Flower-Power-Zeit versprach Helmut Fensch dem Parkett eingangs ganz unbärisch „Wir werden schweinisch vom Leder ziehen!“, und übte mit dem Publikum, wie es beim Stichwort „Freiheit-Gleichheit-Morgenpups“ reagieren solle. Er war es ja, der das Eisbärfell versteckt hatte, wonach seine Kollegen zu wenig fahndeten. Songs der letzten dreißig Jahre, mal Solo, mal mit schönem A Capella-Hintergrund aus schönen Männerkehlen, durchwob die zwei Kabarett-Stunden von Les Humphries „Mamelu“ über den jungen Grönemeyer bis zum blutigen „Erdbeeren-Song“ „Help us, help us!“, wobei sich kabarettistische Kontrafrakturen von selbst verstanden. Beim erstklassig vorgeführten „Kriminaltango“ machte Gretel Schulze aus den Spitzen der Gesellschaft „Bundestagsabgehalfterte“: Bütikofer tauge höchstens zum Müllschlucker in der Küche, von der Leyen zur „Flotten Lotte“. Der „entkoffeinierte Platzeck“ fiel raus – wegen Fracksausens! Man hatte ja versprochen, ernst mit der politischen Spaßgesellschaft zu machen. Vieles blieb freilich nur Verbalinjurie, die Artikulation manch starker Parts schien dem Spieltemperament geopfert. Da Knut so lange fernblieb, hätte man ihm durch ein Synonym Präsenz verschaffen können.

Vom Premierenpublikum längst getragen, also geliebt, spottete man über den eingeborenen Konsum-Menschen, über die schwarz-rote Pendlerpauschale und Robbentod, Gewerkschaftsrhetorik und Dopingtraining, sehr schön auch das jamaikanische Unicef-Kind Zieger beim Betrug deutscher Spender. Diagnose: Gesellschaftliche Schieflage wie damals, als sich die Kabarettisten wie „Dampfpfeifen im kommunistischen Chaos“ vorkamen. Hierzu gab Gretel Schulze eine Krankenschwesterszene: in der Orthopädie fand sie die „Stützen der Gesellschaft“, bei HNO Herrn Schäuble mit dem gut hörbaren Satz „Ich liebe euch doch alle!“ Natürlich suchte man vor Ort auch einen SPD-Kanzlerkandidaten, aber diese Nummer konnte wohl aus naheliegenden Gründen nicht gelingen.

Nun fragte man sich allmählich, wo das Hauptpersönchen blieb, von Bruno, dem Abgeschossenen und ganz perfide Ausgestopften, hörte man ja. Das Fell vom Bären („zum Anfassen“) über der Haut, erschien erst beim Finale: Tolle Musik, ein zünftiger Schuhplattler - und dann der Weiße Mann Herr Fensch! Ob der Verlauf dieses Ergebnis hergab, ist zu bezweifeln, das Publikum aber hat die Seinen geliebt und gefeiert, mehr als Angela Merkel und Ötzi zusammen. Gerold Paul

Nächste Vorstellungen vom 10. bis 16.4. jeweils 19.30 Uhr.

Gerold Paul

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