Kultur: „Wir wollen Köpfe öffnen“
Kammerakademie-Chef Hollensteiner über das Engagement seines Orchesters im Stadtteil Drewitz
Stand:
Herr Hollensteiner, Ihre Musiker gehen seit Jahren in den Stadtteil Drewitz und machen dort spezielle Musikangebote. Ist das eher Lust oder Last?
Als wir damit anfingen, waren es zwei oder drei Matadore, die sich dieser Aufgabe mit Hingabe gewidmet hatten. Die haben das ganz toll gemacht. Das Interesse ist seitdem aber viel größer geworden. Es machen jetzt wesentlich mehr Musiker ganz aktiv mit.
Viele Ihrer Aktionen laufen in der Grundschule Am Priesterweg. Ist es nicht sehr anstrengend für einen Orchestermusiker, inmitten einer Kinderschar etwas erklären zu müssen?
Diese Aufgabe ist natürlich etwas völlig anderes als das, was die Musiker sonst machen, wenn sie sich auf ihre Konzerte vorbereiten. Die Arbeit mit den Kindern gibt den Kollegen trotz gelegentlicher Frustration dennoch viel Energie. Ich finde, dass sie dabei teilweise wirklich über ihren Schatten springen, aber sie wollen das gerne, das ist ein innerer Antrieb.
Und irgendwann einmal werden alle Ihre Musiker aus dem Orchester mit Begeisterung dabei sein?
Es gibt natürlich Kollegen, die auf diesem Gebiet eine höhere Affinität als andere haben. Aber meine Vision ist, dass eines Tages wirklich alle mehr oder weniger aktiv eingebunden sind. Doch auch jetzt schon sind wir mit dem gesamten Orchester in Drewitz aktiv, dann sind sowieso alle Musiker dabei. Die sitzen dann gerne in Drewitz in der Turnhalle und spielen für die Kinder und die anderen Menschen dort Musik und hängen sich voll rein.
Das Wohngebiet Drewitz gilt als Potsdamer Problemstadtteil. Womöglich wohnen hier besonders viele eher kulturferne Menschen. Vielleicht haben viele Leute aber auch nur einen anderen Begriff von Kultur?
Mit solchen Zuschreibungen von Kulturferne oder -nähe würde ich vorsichtig sein. Sie haben zu Recht gesagt, Menschen können ein ganz unterschiedliches Verständnis von Kultur haben. Es ist keinesfalls so, dass wir rausgehen sollten und sagen, wir haben da jetzt eine ganz besonders kulturferne Klientel vor uns.
Also alles gut?
Richtig ist, dass die Menschen im Stadtteil mit den existierenden Konventionen, zum Beispiel im Konzertbetrieb, häufig nicht so vertraut waren oder sind. Das ist aber erst einmal nur zur Kenntnis zu nehmen und allenfalls für uns eine Motivation, aber kein Problem. Ich glaube, dass es darum auch nicht geht. Man muss es grundsätzlicher sehen.
Erklären Sie bitte!
Wir sagen, wir wollen Köpfe öffnen und die Sinne ansprechen. Denn das ist es, was Musik so gut kann, insbesondere weil sie keine Sprache braucht. Man muss Musik nicht verstehen. Ich als Musikwissenschaftler verstehe am Ende das Geheimnis von Musik auch nicht. Wir erwarten jedenfalls nicht, dass die Leute morgen hier alle zu uns in den Nikolaisaal ins Konzert kommen. Das wäre unrealistisch und das ist auch nicht unser Anspruch.
Sie wollen mit Ihren Möglichkeiten einfach das Leben in Drewitz bereichern?
Wir wollen mit der Musik das Gruppengefühl stärken, auch mal einen Moment der emotionalen Überwältigung organisieren. Das sind eigentlich die Ansatzpunkte. Da spielen Begriffe wie Kulturferne oder Kulturnähe erst einmal gar keine Rolle.
Ihre Angebote für Drewitz machen Sie schwerpunktmäßig in der Schule, aber auch anderswo im Stadtteil. Wie werden die Anwohner auf Sie aufmerksam?
Grundsätzlich ist es ja so, dass das Konzept der Gartenstadt Drewitz so aufgebaut ist, dass im Zentrum die Schule steht. Das heißt, wir setzen naturgemäß erst einmal bei der Schule an. So erreichen wir die Kinder und über sie die Eltern, Omas und Opas.
Und außerhalb der Schule?
Da bieten wir offene Formate an. Im vergangenen Jahr gab es beispielsweise das Projekt Esskultur. Da standen an einem schönen Tag in der Konrad-Wolf-Allee Tische, an denen man sitzen und essen konnte. Zwei unserer Musiker haben bei einer Frau geklingelt und gefragt, ob sie für zehn Minuten vom Balkon aus Trompetenduos spielen können. Das kam toll an und war eine wunderbare Sache. Die Frau kommt mittlerweile immer zu unseren Konzerten. Unsere Arbeit in Drewitz außerhalb der Schule ist allerdings noch sehr punktuell. Aber aus diesem momentan noch etwas löchrigen Mosaik wird, denke ich, irgendwann ein Bild werden.
Das Interview führte
Holger Catenhusen
Alexander Hollensteiner, Jahrgang 1977, ist seit 2014 Chef der Kammerakademie Potsdam. Zuvor konzipierte er bei der Konzertdirektion Schmid Tourneestrategien für Orchester.
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