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Kultur: „Wirklich schon wieder ein Jahr?“

Das Kulturjahr 2008 noch einmal in der Rückschau betrachtet

Stand:

WENIGE HÖHEPUNKTE,

VIEL SOLIDITÄT

Der Liedermacher Reinhard Mey stellt in einem Gedicht ganz erstaunt fest: „Ist das schon so lange her, wirklich schon wieder ein Jahr? Ich hab einen Jahresring mehr, wie die Bäume, eine dickere Rinde, ein paar neue Träume.“ Der Jahreswechsel ist die Zeit, um einen Teil unseres Lebens zu bilanzieren. Es ist die Zeit der Rückschau, der Wehmut, der Vorsätze, Hoffnungen und Wünsche. Und schon wieder ist auch ein weiteres Potsdamer Kulturjahr ins Land gegangen. Manch Höhepunkte waren darunter, viel Solidität, kaum Flops, an die man nicht nicht gern erinnert werden möchte. Die Kulturkritiker unserer Zeitung wollen heute und in der Ausgabe am 2. Januar noch einmal an die großen sowie kleinen kulturellen und künstlerischen Ereignisse des Jahres 2008 erinnern.

Im ersten Quartal überraschte Uwe Eric Laufenberg die Öffentlichkeit mit der Mitteilung, dass er mit Ende der Spielzeit 2008/09 die Intendanz des Hans Otto Theaters (HOT) aufgeben werde. Er habe sich als neuer Chef des Opernhauses seiner Heimatstadt Köln beworben. Es hat geklappt. Nun wird Laufenberg die künstlerischen Geschäfte des Theaterhauses am Tiefen See bis zum Sommer 2009 leiten. Der Noch-Intendant wird mit Sicherheit einen Ehrenplatz in der Potsdamer Theatergeschichte erhalten. Seit seinem Engagement vor gut fünf Jahren hat er das Hans Otto Theater wieder zu einer lebendigen Bühne gemacht, auf der viele Impulse gebende Inszenierungen zu sehen waren. Im nun zu Ende gehenden Jahr konnte das HOT ebenfalls mit manch beachtlichen Produktionen aufwarten. Laufenbergs Interpretationen von Goethes „Faust“ und Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ sind zu den Theater-Höhepunkten 2008 zu zählen. Ansonsten viel Solidität. Die Stars, die für einzelne Inszenierungen verpflichtet wurden, haben zwar dem Theater ein paar mehr Zuschauer gebracht, doch die künstlerischen Ergebnisse waren deswegen nicht bravouröser, wenn man von Angelica Domröses famoser Darstellung der „Filumena“ einmal absieht. In Erinnerung bleiben auch wunderbare Rollengestaltungen von Ensemblemitgliedern wie Rita Feldmeier (Ein Menschenfeind), Caroline Lux (Faust/ Hänsel und Gretel) Moritz Führmann (Faust/Der Fall Janke), Christian Klischat (Der Fall Janke), Hendrik Schubert (Frohes Fest) oder Helmut G. Fritzsch (Frohes Fest).

Doch das Potsdamer Theaterleben könnte wieder an Spannung gewinnen, denn ein neuer Intendant ist in Sicht. Im Sommer wechselt Tobias Wellemeyer von Magedburg nach Potsdam. Derzeit ist er noch erfolgreich in Magdeburg tätig. Doch von manch liebgewordenen Künstlern muss sich der Zuschauer mit Wellemeyers Kommen verabschieden. Er hat sie nicht weiterhin engagiert. Aber so ist es nun mal im Theater: Ein Kommen und Gehen. Klaus Büstrin

GLATTSANIERT

„Das ist also Potsdams Kulturstandort. Hier tobt ja mächtig der Bär“, sagt ein junger Mann sarkastisch, der gerade mit seinen Kumpels durch die unbeleuchtete und weithin verwaiste Schiffbauergasse stolpert. Nur in der fabrik ist noch Party angesagt. Ansonsten ist kurz nach 22 Uhr „Totentanz“. Auch am hellerlichten Tag wirkt das Areal seelenlos.

Das klotzige Parkhaus drängt das Theater mit aufdringlicher Vehemenz noch mehr in die Ecke, nimmt ihm das ohnehin eingeschränkte, weit atmende prominente Flair, wie man es von einem Theatervorplatz erwartet. Die Augen irren indes orientierungslos an hohen Wänden entlang: überall ein anderer Stil, als habe Baumeister Zufall das Konzept bestimmt. Nur der Schirrhof ist aus einem Guss. Doch hier ist alles zugepflastert und preußisch akkurat leer gefegt – wenn nicht gerade Autos die markierten Stellflächen zuparken. Das in diesem Jahr eröffnete Fluxus Museum mit quertreibender, durchaus aufrüttelnder Kunst sieht noch braver aus als die benachbarten einstigen Pferdeställe.

Ein schweres Unterpfand für die Kulturanrainer, das äußerliche Manko durch Inhalte wett zu machen. Doch gerade der baulichen „Aufrüstung“ hielten sie in diesem Jahr einen Abgesang entgegen. Das unter Potsdams Jugend angesagte Waschhaus kam mächtig ins Straucheln und fasste erst zum Jahresende nach der selbst mit verursachten Krise wieder einigermaßen Tritt. Doch ob junge Leute aller Couleur das glattsanierte Konzert- und Partyhaus annehmen, werden die kommenden Monate zeigen. Die Einweihung der Waschhaus-Opern-Air-Bühne mit Matthias Reim darf man wohl großzügig als Irrläufer abtun und sich vielmehr daran festhalten, dass trotz drohender Insolvenz gefragte Bands die frisch sanierten Räume aufheizten. Der Vorplatz mutet indes wie die Endstation eines Busunternehmens an, an der ein beleuchteter Fahrplan der einzige Hingucker ist.

Umbruch auch im Theater mit der bereits verkündeten Auflösung des Kinder- und Jugendtheaters. Doch gerade jetzt, wo der Zuschaueransturm etwas abflaut, könnte umsichtig angepacktes Neues auch neue Reize provozieren. Und die sind insgesamt in der Schiffbauergasse gefragt. Am besten im Zusammenspiel. Doch wie die Lange Nacht der Experimente zeigte, müssen sich dazu nicht nur alle Türen einvernehmlich öffnen, sondern auch ein zugkräftiges Marketing die Rücken stärken. Zu allererst ist das bereits lange angemahnte Licht-Leit-System vonnöten, das durch die dunklen Gassen führt und gerade Fremden das Häuser-Wirrwarr entflechtet.

Ein Ort wird aber nur beseelt, wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen von ihm Besitz ergreifen. Und dafür sind zündende Ideen der beste Wegweiser. 2008 köchelte eher auf kleiner Flamme: Der tobende Bär ließ auf sich warten. Heidi Jäger

LUST AUF MUSIK

Wer im zu Ende gehenden Jahr Lust auf Musik hatte, der konnte in Potsdam reichlich fündig werden. Ob Symphoniekonzert, Kammermusik, Solorecital, Oper, Oratorium, Kantate oder Motette – für jeden Geschmack, für jede Stimmung war etwas dabei. Dabei erwies sich manches Mal, dass gerade die kleineren, unscheinbaren Konzerte Überraschendes und Bewegendes enthalten konnten.

Die Kammerakademie Potsdam hat jetzt die Beethoven-Symphonien fast komplett einstudiert. Unter der Leitung von Michael Sanderling werden außerdem die Werke des russischen Komponisten Dimitri Schostakowitsch kultiviert, während der andere künstlerische Leiter Andrea Marcon gerne italienische Akzente setzt.

Heiter ging es weiter mit den Brandenburger Symphonikern unter der beständig fruchtbaren Leitung von Michael Helmrath. Sie gaben nicht nur den „Karneval der Tiere“, sondern verantworteten auch das formidable Kontrabass-Konzert von Matthias Sperger – eine große Überraschung für alle diejenigen, die das Instrument bisher nur als Brummbass kannten. Bei Roman Patkoló war zu hören, welch verführerische Klangreize in so einem Kontrabass liegen können. Selbst eine Schnulze der Klassikhitparade wie das angeblich von Tomaso Albinoni stammende „Adagio“ klang bei diesem Ausnahmemusiker wie neu, poetisch und puristisch.

Das Persius-Ensemble beging seinen 10. Geburtstag. Unter dem Motto: „Musiker sind die Architekten des Himmels“ konnte einmal mehr die erlesene musikalische Aura dieses Potsdamer Ensembles erlebt werden, das nicht nur als Nonett seinesgleichen sucht, sondern auch durch die stets gepflegte Verbindung zu Bauwerken aller Art besondere Akzente setzt. Geistige Dialoge ganz anderer Art kultivierte die diesjährige Potsdamer Vocalwoche „Vocalise“, die mit der Frage „Maykomashmalom“ (Was bedeutet das?) begann und das biblische Hohelied in der Vertonung der israelischen Komponistin Ela Milch-Sheriff erstmals in Deutschland aufführte. Das Neue Kammerorchester Potsdam unter der engagierten Leitung von Ud Joffe überzeugte hierbei einmal mehr. Unter den Potsdamer Laienorchestern überrascht das Babelsberger Collegium musicum immer wieder mit ausgefallenen und ambitionierten Programmen. Dazu gehörte das Literarische Sommerkonzert mit der Aufführung von Carl August Nielsens „Aladin und die Wunderlampe“.

Einen besonderen Höhepunkt bildete „Der Marktplatz von Isfahan“, bei dem gleich vier Musikgruppen in verschiedenen Ton- und Taktmaßen gegeneinander anspielten -Simultanmusik aus vortechnischer Epoche, die man gewiss nicht alle Tage zu hören bekommt, erst recht nicht „live und unplugged“. Potsdam erfreut sich eines ausgesprochen regen Musiklebens – mit erfreulichen Aussichten für 2009. Babette Kaiserkern

PERSPEKTIVWECHSEL

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne" möchte man mit Hermann Hesse im Rückblick ausrufen: Als Motto, das so manch frischen Input in 2008, ausgelöst durch räumliche Veränderungen, in Potsdams überschaubarer Kunstszene durchaus zutreffend beschreibt. Was es heißt, unter lieb gewonnene Räumlichkeiten ein für alle Mal einen Schlussstrich zu ziehen, davon können die Galerie Ruhnke und erst recht die im Holländischen Viertel nach rund 17 Jahren geradezu alteingesessene Sperl Galerie ein Liedchen singen. Mit dem Standortwechsel im Zentrum geht für beide Galeristenpaare eine spürbare Aufbruchstimmung einher. Neue Räume inspirieren eine Klärung des eigenen Profils und spornen zu vielversprechenden Aktivitäten an.

Auf vergleichbare Erfahrungen blickt die Künstlergemeinschaft des Atelierhaus Panzerhalle e.V. in diesem Jahr zurück. Nach dem „Rausschmiss“ und Abriss des alten Produktionsortes in der stillgelegten Panzerhalle Ende des vergangenen Jahres konnten die Künstlerinnen und Künstler in die benachbarte stillgelegte Waldschule umziehen. Monat für Monat entstand in den ausgedienten Klassenzimmern auf zwei Etagen ein lebendiges Kunst-Quartier, das gleich mehrere Künstlerinnen aus der Großstadt neu hinzulockte. Auch hier hat sich gezeigt: War der erste Schreck über die Krisengefühle provozierende Zäsur erst einmal verdaut, ging man gemeinsam gestärkt und mit neuem Schwung aus der Talfahrt hervor. Grund zu feiern gab es für den KunstHaus Potsdam e.V. Fast zeitgleich wurde hier kräftig auf die bisherige Vereinsarbeit angestoßen, die sich rein aus privater Initiative heraus, mit anspruchsvollen Einzel- und Gruppenausstellungen für die zeitgenössische Kunst stark macht.

Immer wenn es in Potsdam offene Ateliers gibt, wird das vom Publikum gerne angenommen. Erst am 1. Advent bestand hierzu reichlich Gelegenheit. Immer mehr der in Potsdam und drumherum in großer Zahl beheimateten Künstlerinnen und Künstler gewähren den kunstinteressierten Besuchern gerne einen Blick hinter die Kulissen. Zugegebenermaßen laufen solche Angebote immer dann besonders gut, wenn bei solchen Anlässen das ein oder andere Veranstaltungs-Highlight einen gewissen Event-Charakter verspricht.

Wenn bei der diesjährigen Kunst Genuss Tour im August vor allem das Luisenforum die Besuchermassen anzog, hat das auch eine Menge damit zu tun. Dort, wo gleichzeitig viel geboten wird, ist entsprechend besonders viel los. Aber auch sonst profitieren die hier ansässigen, unmittelbar benachbarten Galerien und Kunstvereine von dem ein oder anderen nützlichen Synergieeffekt. Ohnehin sind Kooperationen unter- und miteinander, beispielsweise zwischen Kunstvereinen und Galerien, in Potsdam längst zu einer Tugend geworden, die immer bessere Früchte trägt.

Dass sich Potsdam hinter seiner aktuellen Kunst nicht zu verstecken braucht, hat allein das zurückliegende Jahr mehrfach unter Beweis gestellt. Im April ging am Kulturstandort Schiffbauergasse das in privater Trägerschaft initiierte museum FLUXUS+ mit großer Publicity an den Start. Nur wenige Wochen später hatte Potsdam mit dem New Yorker Performance- und Land Art-Künstler Dennis Oppenheim einen international prominenten Künstler zu Gast.

Drei Monate lang war der Künstler in der Schiffbauergasse mit einer aufwendigen Installation im Außenraum und einer Ausstellung im Kunstraum Potsdam vertreten. Hier verbindet aktuell eine sehenswerte Einzelausstellung des Potsdamer Foto-Künstlers Göran Gnaudschun das alte mit dem neuen Jahr. Almut Andreae

Klaus BüstrinD

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