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Neuanfang. Susanne Mohr (hinten) mit ihrer „Theaterschatulle“ beim Proben.

© M. Thomas

Kultur: „Witwendramen“ in eigener Sprache

Sie sind über 60, Amateure und lieben das Spiel: in Susanne Mohrs „Theaterschatulle“ am Schlaatz

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Nicht jede hat den Mut, mit 50 noch mal anzuhalten, Luft zu holen und von vorne zu beginnen: Eine neue Ausbildung, ein neuer Lebenspartner, eine neue Heimatstadt. Susanne Mohr hat es gewagt und ist vor einem Jahr von Heidelberg nach Potsdam gezogen. Jetzt ist die ehemalige Lehrerin für Französisch und Englisch Theaterpädagogin. Im Bürgerhaus am Schlaatz hat sie eine Theatergruppe für Ältere gegründet: Die Theaterschatulle. Und sie hat ihren Entschluss nicht bereut.

In Susanne Mohrs Wohnzimmer hängt ein Bild in kräftigen, fast grellen Farben. Ein dunkles Kindergesicht in Rot und Gelb. Ihre Wohnung hat einen kleinen Garten für den großen Hund. Über ihn kommt sie mit Menschen leicht ins Gespräch. Kein Wunder, das kalbsgroße Tier setzt sich zutraulich zu jedem, der es kraulen will. „Verräter“, sagt Susanne Mohr empört, aber nicht wirklich verärgert und bietet ihrem Gast Yogitee an.

Nach mehr als 20 Jahren als Lehrerin hat sie mit 50 Jahren endlich einer großen Sehnsucht nachgegeben und eine Ausbildung zur Tanz- und Theaterpädagogin absolviert. Vier Jahre lang. Sie hatte schon immer ein Faible für das Theater. Früher schrieb sie zu Hause für ihre beiden Töchter Stücke. Die Ältere studiert nun ebenfalls Theaterpädagogik. Anfang 2009 öffnete Susanne Mohr im Schlaatz die Theaterschatulle – noch mitten im Umzug. Ihr erstes Stück „Lebensträume“ war gleichzeitig ihre Abschlussarbeit. Ende 2010 brachte sie ihr zweites Stück „Grille und Ameise“, eine Fabel über „Lebensthemen“, auf die Bühne. Jetzt arbeitet sie bereits an ihrer dritten Produktion: Die „Witwendramen“ des Nürnberger Schriftstellers Fitzgerald Kusz.

Im Moment sind nur Damen in ihrer Gruppe, 62 bis 88 Jahre alt. „Aber Männer sind herzlich willkommen.“ Susanne Mohr hat den Wunsch „dass sich die alten Menschen zu gesellschaftspolitischen Themen äußern und aktiv am Alltag teilnehmen“. Deswegen schreibt sie die Texte und Dialoge zusammen mit ihren Schauspielerinnen. „Es soll ihre eigene Sprache sein und außerdem können sie sich so den Text besser merken“, sagt sie. „Aber man muss kleine Brötchen backen. Es sind ja alles Amateure, die darf man nicht überfordern“, betont sie und das klingt eher ambitioniert als zurückhaltend. Ihr großes Vorbild ist das „Theater der Erfahrungen“ von Ewa Bittner in Berlin. Diese Gruppe wurde bereits vor 30 Jahren gegründet und macht Theater für ältere Menschen, um sie zu aktivieren. Es geht oft um Themen, die auch junge Menschen beschäftigen, Liebe zum Beispiel. Integrationstheater bedeutet auch die Zusammenführung von jungen und älteren Menschen. Davon träumt Susanne Mohr. Sie hat neben der Theaterschatulle noch weitere Projekte auf kleiner Flamme. „Wir suchen dringend junge Menschen im Alter von 14 bis 27 Jahren vom Schlaatz, Stern und Drewitz für ein Projekt mit dem Mehrgenerationenhaus Nuthetal“, betont sie mehrmals. Und einen Seniorenclub am Hans Otto Theater würde sie auch gern gründen. „Das Interesse ist da“, sagt Susanne Mohr „aber ich muss selber die Fördergelder mitbringen.“

Um sich zu finanzieren, hilft Susanne Mohr auf einem Potsdamer Gymnasium als Sprachlehrerin aus, obwohl sie lieber Projektanträge ausfüllen, Kontakte knüpfen oder Stücke schreiben würde. Aber noch muss sie Kompromisse eingehen.

Susanne Mohr war schon als Studentin umtriebig. Sie zog von Erlangen nach Heidelberg, weil dort Studenten aus aller Welt lernten. Ihren ersten Mann, einen Algerier, lernte sie während eines Austauschsemesters in Paris kennen. In dieser Zeit war sie politisch aktiv, in der Asylpolitik bei Amnesty zum Beispiel.

Nun ist sie Am Schlaatz – und es gefällt ihr. Schon der Name „Haus der Generationen und Kulturen“ beinhaltet ihr Programm. Interkulturell ist für Susanne Mohr keine schmückende Feder in einem Projektantrag. Damit bezeichnet sie ihr eigenes Leben. Es ist für sie selbstverständlich, dass ihre beiden Schauspielerinnen aus Togo ein Lied in ihrer Muttersprache Ewe singen werden. „Interkulturell heißt, dass Ihr Eure Kultur mit einbringt“, musste sie die beiden ermutigen.

Irgendwie bekommt das Wort Integration einen anderen Ton in Susanne Mohrs Mund als in der öffentlichen Debatte. Sie sieht andere Sprachen und Kulturen nicht als Defizit. Und sie hat keine Berührungsängste. Auch mit den arabischen Frauen im Schlaatz würde sie gerne Kontakte knüpfen.

Susanne Mohr wirkt zufrieden, mit 54 Jahren das Abenteuer des Neuanfangs noch einmal gewagt zu haben. „Das Leben stellt immer wieder Weichen“, sagt sie. Undine Zimmer

Die Theaterschatulle probt dienstags von 10 bis 12 Uhr im Theatersaal im Bürgerhaus am Schlaatz, Tel.: (0331) 297 25 27. www.spielfreude.worldpress.com

, ine Zimmer

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