Kultur: Wo ist die Kunst?
Die Vernissage des Künstlersymposiums Arte é Vita im Waschhaus
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Die Vernissage des Künstlersymposiums Arte é Vita im Waschhaus Von Matthias Hassenpflug Die Vernissage im Waschhaus mit den Ergebnissen des Künstlersymposiums Arte é Vita hatte längst begonnen, da meldete sich ein aufgeregter Neuankömmling. „Wo ist die Kunst?“, fragte er, hier sollten doch 30 bis 40 Künstler ihre Werke zeigen? Der Verweis in den Galerieraum, vor dessen offener Türe der Suchende gerade stand, angefüllt mit den üblichen Vernissagebesuchern, also Freunden und Weggefährten, Offiziellen und Veranstaltern, taugte in gerade diesem Moment nicht. Dort fand anlässlich der Eröffnung das statt, was man eine „Performance“ nennt. Kurz zuvor hatte Moritz van Dülmen, Edelpensionär in Sachen Kulturhauptstadt, in Vertretung der Kulturbeigeordneten, die sich entschuldigen ließ, die sehr lange Liste aller Kooperationspartner von Arte é Vita vorgelesen, die ihm der Kurator Michael F. Kramer in die Hand gedrückt hatte. Danach spielte ein Saxophonquartett flotte Jazzrhythmen, zu der zwei als Stuhl und Tisch verkleidete Grazer Figurentheaterschauspieler zeigten, wozu ein Stuhl und ein Tisch alles fähig sein können. So kann der Tisch sich auf den Stuhl setzen und der Stuhl auf den Tisch krabbeln. Das erheitert ein Vernissagepublikum. Irgendwo im Raum stolzierte auch die emsige Clownin Pimpinella herum und grimassierte lustig die Gäste an. Als die Frage nach der Kunst auftauchte, spielte gerade ein Cellistin, aber nicht nur mit einem Bogen, sie strich mit zweien auf den Saiten. Das hatte etwas von Aktionskunst, man hört solche Klänge ausschließlich auf Vernissagen. Schräges Cellospiel macht den Zuhörer mürbe und dankbar für alles, was Ruhe verspricht. Wobei man nun endlich bei der Kunst angekommen ist. An dem aus CD-Rohlingen gearbeiteten und mit einem Sprachmodul versehenen, schleusenartigen Durchtritt „Kommunikation, Verborgen“ von Peter Hrubesch und Traude Wehage gefiel am besten, dass er während der Begrüßungszeremonie nie Ruhe geben wollte. Ein Kommentar des Überflusses an Zitaten und der selbstreferentiellen Hülsen. An den Wänden der Waschhausgalerie hingen laminierte Fotos jener Skulpturen, die irgendwo im Stadtgebiet verstreut stehen. Auf schwachen Skizzen erklärt der Ationskünstler Egon Schrick, sich auf 18 Nesseltüchern von der Peter-und-Paul-Kirche in Richtung Brandenburger Tor bewegen zu wollen, um schreitend „Geschichte, Gegenwart und Zukunft Potsdams, Deutschlands und Europas“ zu betrachten. Höhepunkt der Ausstellung ist der von Desirée Baumeister gestaltete Raum des Kesselhauses. Dort hängt die große, transparente „Ich Wabe“, ein sechseckiges beleuchtetes grünes Pergamentkonstrukt mit drei ausladenden Schleppen, ein betretbarer Teppich aus frischem Laub öffnet das Innere. Baumeister greift Aspekte der Geborgenheit, Verletzbarkeit und räumlich-farblicher Harmonie auf und setzt sie in einen sehr bewussten Dialog mit den Gegebenheiten des Maschinenraums. „Wie poetisch!“, sagt ein Ausstellungsbesucher euphorisch. In Begleitung des Saxophonquartetts, Tisch und Stuhl und der nervenzehrenden Pimpinella schritt nun das mittlerweile schon ausgedünnte Publikum in die Russenhalle. Tisch und Stuhl turnten dort noch eine Weile aneinander herum, über ihnen warf die überdimensionierte hausförmige Diskokugel von Christoph Hildebrand „Projektion“ Symbole an das marode Mauerwerk, das Peace-Zeichen, zwei Herzen, Messer und Gabel, Fernseher. Auch die Saxophone durften noch mal ran. Und als man kaum noch damit rechnete, überkam die letzten Ausharrenden beim Auftritt der Dresdener „SARDH“ Gruppe ein Gefühl der Frische und Geistesöffnung. Ist es Musik? Selbst beschreiben die Fünf ihre Kollagen als industrielle Geräuschkollagen. Klangerzeugende Gegenstände wie Brummkreisel und Nachttöpfe lassen durch elektronische Verstärkung eine Kulisse entstehen, die dennoch seltsam angenehm ist und die Neugierde weckt. Man sucht in den Geräuschen nach dem Grund dafür. Sollte neue Kunst nicht immer so funktionieren? Verstörend und zugleich anziehend.
Matthias Hassenpflug
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