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Kultur: „Wo sind die Brechts unserer Tage?“
Wolfram Weimer hat ein streitbares Buch geschrieben / Heute stellt er es in Potsdam vor
Stand:
Herr Weimer, ist der Deutsche ein zu träges Lebewesen?
Die Deutschen haben in ihrer Geschichte ja schon manches ausprobiert, Trägheit aber war noch nie dabei. Unser Problem ist eher, dass wir zu viel wollen als zu wenig. Meine Kritik zielt eher auf Schrägheit als auf Trägheit ab.
In Ihrem Buch „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit. Warum die Krise konservativ macht“ gehen Sie hart mit uns Deutschen ins Gericht. Wir kuscheln lieber in der Mitte, statt den Konflikt zu suchen. Politik ist zur Bauchpinselei verkommen und was unser intellektuelles, künstlerisches und literarisches Niveau betrifft, sprechen Sie gar von Rezession. Übertreiben Sie da nicht maßlos?
Ich fürchte tatsächlich, wir haben nicht nur eine wirtschaftliche Rezession, sondern auch eine geistige. Wo sind die Thomas Manns, Friedrich Nietzsches oder Bert Brechts unserer Tage? Von Goethe und Schiller will ich gar nicht reden! Sind nicht auch die Medien auf dem Weg in die Unterhaltungs-Nutzwert-Blendwerk-Industrie? Statt Kultur betreiben wir doch lieber RTL-Dschungelcamps, statt auf Philosophen oder Nobelpreisträger hören wir auf Dieter Bohlen und Franz Beckenbauer. Das finde ich schräg.
Sie schreiben auch, „Die Masse reagiert im Angesicht einer drohenden Rezession konservativ, sie spart, entdeckt die redlichen Großväter-Tugenden neu, folgt der CDU-Kanzlerin und hält sich an Bewährtes“. Was ist so schlimm daran, im Sturm den Kopf einzuziehen und auf bessere Zeiten zu hoffen?
Daran ist gar nichts schlimm. Ich glaube sogar, dass diese Krise unserer Kultur gut tun wird wie ein reinigendes Gewitter. Unsere Gesellschaft besinnt sich wieder stärker auf Substanz statt Blendwerk, auf Qualität statt Quantität, auf Tradition statt Tand.
Es gab schon hoffnungsvollere Zeiten, wie Sie behaupten. Die Jahre nach der Wende von 1989. Die Mauer fiel und alles schien möglich. Trotzdem sind wir gescheitert.
Gescheitert sind wir als Nation überhaupt nicht. Die Wiedervereinigung wird auch mit der längeren Perspektive als ein großer historischer Erfolg, als eine Glückstat der Deutschen herausragen. Die 20 Jahre seither haben den Deutschen einen beispiellosen Wohlstandsschub beschert. Gescheitert ist allerdings mancher Übermut, der auf die Überwindung der Ideologien nach 1989 weltweit folgte. Die Geschichte zeigt, dass es kein Schlaraffenland gibt, selbst wenn alle Diktatoren und Ideologen verjagt sind.
Hatten wir ab 1989 vielleicht auch auf einmal zu viel Freiheit, der wir einfach nicht gewachsen waren?
Das glaube ich nicht. Schon gar nicht für Deutschland. Wir Deutsche behandeln die Freiheit, wie Heinrich Heine einmal sagte, eher wie eine distanzierte Großmutter. Der Franzose wie seine Geliebte, der Engländer wie seine Frau. Wir Deutschen haben immer darauf geachtet, dass Freiheit, Gleichheit und Sicherheit in einer strengen Balance stehen.
Sie sprechen in Ihrem Buch von der 89er-Generation. Wer verbirgt sich dahinter?
Die Geschichte der Bonner Republik wurde von zwei Generationen und ihren Konflikten stark geprägt: der konservativen Wirtschaftswundergeneration und den linken 68ern. Heute erkennen wir eine dritte Generation – eben die liberalen 89er. Der Mauerfall war ihr Schlüsselerlebnis, sie fühlten sich erhaben über die Zwänge und Trümmerhaufen der ideologischen Vergangenheit. Sie waren freiheits- und spaßfixiert. Nichts mehr glauben, offen und tolerant sein, ein Patchwork der Haltungen leben – darum ging es. Und sie waren viele – weil sie die geburtenstarken Jahrgänge der Republik stellten.
Sind die 89er die Sündenböcke für die derzeitige Krise?
Als Sündenböcke dienen derzeit eher Banker und Manager. Die 89er sind eher die stillen Verlierer der Entwicklung. Sie verlieren ihren Freiheitskosmos. Im Westen setzt man wieder stärker auf den Staat, und in Asien, Arabien und Russland macht der Oligarchismus Furore.
Wir Deutschen sind eingefleischte Alarmisten. Je schrecklicher das Horrorszenario unserer Zukunft gezeichnet wird, umso besser. Sie sprechen von „immer kürzeren Zyklen kollektiver Panikmache“. Das kann doch aber auch ein Vorteil sein. Der französische Schriftsteller Marcel Proust bezeichnete Apokalyptiker als die wahren Lebenskünstler, da sie ständig angenehme Überraschungen erleben.
Dem würde ich die Beobachtung Carlo Schmidts entgegenhalten, dass manche Menschen nur deshalb Untergangspropheten sind, weil sie sich selbst so genau kennen. Mir ist die hysterische Kultur der Angst zutiefst unsympathisch. Erst ging das Land am Waldsterben zugrunde, dann tötete uns Elektrosmog, dann fielen die Kampfhunde über uns her. Gestern kam der Feinstaub, heute der Klimawandel, morgen die Vogelgrippe und die Finanzkrise – natürlich die schlimmste aller Zeiten. Mich stört an der Panikmache, dass sie nicht aufklärt, sondern nur Ängste schürt – um Politik oder um Geschäfte zu machen.
Finden Sie nicht auch, dass Sie in Ihrem Buch gelegentlich wie Roman Herzog klingen, von dem der berüchtigte Satz stammt: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“?
Im Gegenteil. Mir gehen zu viele Rucke durch Deutschland. Ich glaube, dass Gesellschaften, die einem so starken, permanenten Modernisierungsdruck ausgesetzt sind wie unsere, viel mehr Heimaten, Gewissheiten, Traditionen, Ruhe, Identität brauchen als das schneidige Macher wahr haben wollen. Ich will, dass mal eine Ruhe durch Deutschland geht.
Sie plädieren, wie viele vor Ihnen, für mehr Moral. Ihre Devise für unsere Zukunft lautet: Werte statt Wertpapier. Mit Verlaub, das klingt doch allzu salopp.
Es geht nicht nur um Moral, es geht um Kultur und Identität. Geschichte zum Beispiel ist ein ganz wichtiges Gefäß. Denn es gibt keine Zukunft ohne Herkunft. Und je rascher die Welt sich dreht, desto mehr müssen wir sicher sein, wo wir herkommen. Deswegen bauen wir uns in Potsdam ein Stadtschloss und alte Häuser, Kanäle und Parkanlagen wieder auf. Das sind Werte, keine Wertpapiere.
Die Politik der Linken hat für Sie ausgedient und Sie sagen, „Angela Merkel ist mir inzwischen lieber als Angela Mitte“. Ist Ihr Buch im Wahljahr 2009 vielleicht auch ein Plädoyer für die CDU.
Nein, mir geht es gar nicht um Parteien oder Personen oder das Wahlkampfgezänk. Mir fällt nur auf, dass die Linke – zu unserer aller Verblüffung – seit gut einem Jahr in den Umfragen stark verliert und in ganz Deutschland enorm an Attraktivität einbüßt. Dabei sind die Krisenumstände für sie eigentlich ideal. Offenbar suchen die Menschen nach neuer Orientierung, haben aber ganz und gar nicht das Gefühl, dass dem Sozialismus die Zukunft gehört. Ich bin daraufhin der Frage nachgegangen: Ja, wem gehört sie denn dann?
Wohl dem neuen Konservatismus, der mit viel Pomp daher kommt. Der wahre Konservative aber hält seine Haltung eher bedeckt. Ist dieses Zurück zur Familie, Heimat, Religion und Natur vielleicht doch nur eine kurzlebige Mode und Sie überschätzen das alles?
Das mag sein. Zumal der Zeitgeist und politische Strömungen immer weniger national geprägt werden. Und global gesehen geht es nicht mehr um Rechts oder Links. Da geht es um die Frage: Wird der östliche Oligarchismus siegen oder das westliche Demokratiemodell. Der Aufstieg Chinas beschleunigt sich durch diese Krise dramatisch und wir im Westen bekommen mit unserer Schuldenkultur zusehends Probleme.
Hand aufs Herz, Herr Weimer, sieht unsere Zukunft wirklich so düster aus, wie sie gelegentlich schreiben?
Überhaupt nicht. Ich gehöre sogar in dieser Krise zu den wenigen Optimisten, die daran glauben, dass wir viel schneller wieder einen Aufschwung erleben werden als alle denken. Mir würde es freilich gut gefallen, wenn wir im nächsten Boom ein wenig seriöser haushalten, die Kultur der Respekts stärker pflegen und die Welt nicht nur als ein Monopoly-Spiel betrachten – da bin ich ganz konservativ.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Wolfram Weimer stellt heute, 19 Uhr, in der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, sein Buch „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit. Warum die Krise uns konservativ macht“ vor. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro.
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