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Kultur: Worte blitzen wie geschliffene Messer Stadt-Spiel-Truppe mit Mrozeks „Auf hoher See“

Im schwarzdunklen Wasser dümpelt ein weißes Floß. Auf sein Segel werden die Gesichter der darauf liegenden Gestalten in Echtzeit projiziert, drei Männer in weißer Unterwäsche mit roten Rettungswesten und weißen, ausgemergelten Gesichtern.

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Im schwarzdunklen Wasser dümpelt ein weißes Floß. Auf sein Segel werden die Gesichter der darauf liegenden Gestalten in Echtzeit projiziert, drei Männer in weißer Unterwäsche mit roten Rettungswesten und weißen, ausgemergelten Gesichtern. Schwankende Figuren auf schlingerndem, unsicherem Untergrund. Nur die Farben sind hart und klar: schwarz, rot, weiß. Die Stadt-Spiel-Truppe Potsdam hat Slawomir Mrozeks Einakter „Auf hoher See“ in der Regie von Sebastian Bandt außergewöhnlich und spannend inszeniert.

Gezeigt wird eine absurde Groteske über drei Schiffbrüchige, in der die Worte blitzen wie geschliffene Messer. Zu sehen ist ein Parforceritt durch die Untiefen der Demagogie bis hin zum bitterbösen, blutroten Ende.

Mit seinen Theaterstücken erlangte Mrozek, von der Kritik als „polnischer Ionesco“ gefeiert, Weltruhm. In dem Minidrama von 1961 „Auf hoher See“ reduziert der Autor das existenzielle Bedürfnis des „Ich habe Hunger", womit das Stück beginnt, auf die ebenso sardonische wie simple Frage: „Wer isst wen?“. Dabei geht es nicht etwa um ethisch-moralische Aspekte des Kannibalismus. Vielmehr stehen die rhetorischen Argumente und Intrigen, mit denen die eigene Person gerettet und ein Opfer legitimiert werden soll, im Mittelpunkt.

Mit scharfem Sinn für das Blendwerk der Worte, besonders jener im Dienst von Politik und Macht, führt Mrozek Charaktere und politische Diskurse vor. Der einfache Mann (Mario Neupert) setzt auf Frau, Kind, Familie, kommt aber mit diesen simplen Argumenten nicht weit. Der Helfer (Albrecht Bechmann) setzt auf Anpassungsfähigkeit bis hin zur Selbstverleugnung und behauptet, dass es ihm nicht ums Essen gehe, sondern darum, anderen beim Essen zuzusehen. Der Chef (Bob Schäfer) gibt sich als Soldat aus und erklärt schlicht, er wäre unverdaulich. Die demokratische Wahl des Opfers verläuft im Sande.

Anschließend verdoppeln der Chef und sein Helfer die Strategie der rhetorischen Überwältigung. Dabei zeigt sich, dass, wer einmal in das Mahlwerk der politischen Reden geraten ist, ihm nicht entkommt – egal, ob im Dienst von Demokratie oder Diktatur. Lustvoll dekonstruiert Mrozek die philosophischen Konzepte von Gerechtigkeit, Freiheit, Zivilisation und Selbstlosigkeit. Nach einer burlesken Einlage mit einem schwimmenden Postboten (Norman Jahnke), der sich als pflichtbewusster Beamter erweist, spitzt sich die Lage zu. Jetzt werden nicht mehr nur die Worte, sondern der blanke Stahl des Hackbeils gewetzt. Am Ende fällt das ganze Gebäude, ein babylonischer Turm der politischen Rhetorik, in sich zusammen wie ein geplatzter Luftballon. Mrozeks existenzialistischer Nihilismus erhält durch die punktuell zu hörende Musik von DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann aktuelle Züge.

Was bleibt übrig, wenn der Mensch aus allen Bindungen gelöst, aller Ideale beraubt ist, lautet die unterschwellige Frage dieser sehens- und bedenkenswerten Inszenierung der Stadt-Spiel-Truppe Potsdam.

Nächste Vorstellungen: 23. - 26. Juli, jeweils um 22 Uhr auf dem Thetaerschiff, Lange Brücke

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