Kultur: Wunder gibt es immer wieder
Adventskonzert mit Matthias Eisenberg und Manfred Krug in der Nikolaikirche
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Man nehme zwei bekannte Meister ihres Metiers, lasse sie gemeinsam in der erwartungsfrohen Adventszeit auftreten und der Erfolg ist garantiert, Kasse wie Saal bis an den Rand gefüllt. Organist Matthias Eisenberg und Schauspieler Manfred Krug vollbrachten das Wunder, als sie am Mittwoch in der Nikolaikirche weihnachtliche Geschichten und Melodien vortrugen.
Doch wie es bei solchen Unternehmungen halt so ist: wenn es zwischen den Genres keine Klammer gibt, macht jeder der Partner sein eigen Ding. Verließ der eine die Orgelbank, trat der andere zum Lesetisch – und umgekehrt. Was geboten werden würde, stand in den Sternen, nicht jedoch auf einem Programmzettel. „Manne“ Krug sagte seine Titel an, der Organist verzichtete darauf. So blieb die Mutmaßung, aus wessen Feder die einleitende Pastoralweise à la baroque stammen könnte.
Die Altarorgel zeigt sich schon hier vom Eisenbergschen Begehr differenzierender, fantasievoll registrierter Klänge sehr angetan und ganz von ihrer klangprächtigen Seite. Dann nimmt der Mime auf Altarhöhe am Vortragstisch Platz. Nachdem er – gleich einem Spätheimkehrer – der Nikolaikirche sein Kompliment überbracht hat, kommt er mit Bertolt Brechts Weihnachtsstory „Das Paket des lieben Gottes“ gleich zur Sache. Die erzählt von Arbeitslosen im Chicagoer Schlachthofviertel, die sich – weil“s der Brauch – unbedingt etwas schenken wollen. Einem, der stets mit dem Gesetz in Konflikt gerät, überreichen sie witzigerweise Telefonbuchseiten mit Namen von Polizisten, eingewickelt in eine Zeitung. Deren Titelseite lesend erfährt er, dass nicht er ein ihm zur Last gelegtes Verbrechen begangen hat, sondern ein anderer. Brechts sozialkritische Fabulierkunst kostet „Manne“ mit ironischer Distanz aus. In Loriots grotesk-erschröcklichem „Advent“-Gedicht („Es naut die Blacht“) trifft er den mörderisch-balladesken Küchenliedtonfall nicht weniger vorzüglich.
Wobei sich schnell herausstellt, dass sich Krugs Auswahl auf Erlebnisse von sozial Benachteiligten konzentriert. Die aktuellen Bezüge zur aktuellen „Unterschicht“-Diskussion sind auffallend. In der liebevoll-detailreichen Schilderung „Das Geschenk der Weisen“ von O“Henry finden sie sich gleichfalls. Um seiner Liebsten Nelly Kämme für ihr rapunzel-langes Haar kaufen zu können, versetzt Jimmy seine Taschenuhr, für die sie ihm eine teure Kette schenkt, bezahlt vom abgeschnittenen und verkauften Eigenhaar. Diese Situationskomik liest „Manne“ leider viel zu schnell und haspelig. Erst in der Weihnachtsepisode aus seiner Autobiografie „Aus meinem Leben“ ist er ganz bei sich und fabuliert spannend. Köstlich ebenso die humorvolle Ausdeutung des Erich Kästnerschen „Interviews mit dem Weihnachtsmann“. Selten so geschmunzelt.
Dafür umso intensiver den hinreißenden „Fabulierkünsten“ von Matthias Eisenberg gelauscht, der sich mit mancherlei illustrativen, gefühlsträchtigen und anonymen Piecen als solider Textüberbrücker betätigt. Bekannteres gibt es nach der Pause. Die Melodie „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ entpuppt sich dem Kenner sofort als Mozarts 12 (Klavier-)Variationen über „Ah, vous dirai-je, Maman“ KV 265 in einer Orgelvariante. Eisenberg präsentiert sie im Stil einer Spieluhr, lässt sie mit viel Sinn fürs Grazile, für Klangfarben (knarziges Krummhorn, Zimbelstern) erklingen, innig, zart getönt, gleichsam als Klanggravur das F-Andante für eine Orgelwalze KV 616.
Engelbert Humperdincks hübsch registriertem Sandmann-Lied („Hänsel und Gretel“) folgen nach einer Zäsur Matthias Eisenbergs weitschweifende Improvisationen über „Tochter Zions, freue dich“. Des Staunens ist dabei kein Ende, wie selbstvergessen und stringent er in die Strukturen der Melodie eindringt, sie auf immer wieder verblüffende Weise verändert, mit toccatischen Elementen anreichert, zu einem langen Crescendo bündelt, es schließlich mit viel Klingeling (Zimbelstern) in das Finale stürzt. Grandios. Er sieht sich anhaltend gefeiert.
Peter Buske
Peter Buske
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