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Kultur: Wunder gibt es immer wieder

Abschlusskonzert der „Vocalise 2006“ mit Mendelssohn-Oratorium „Elias“ in der Erlöserkirche

Stand:

Vier düstere d-Moll-Akkorde tiefer Bläser kündigen Gewichtiges an, bevor der wortgewaltige Wunderprediger Elias dem Volke prophezeit: es solle weder Tau noch Regen fallen, bevor er es ansage. Ist der übergeschnappt? Will er sich selbst überheben? Mit diesem Fluch der fanatischen Prophetengestalt eröffnet sich Felix Mendelssohn Bartholdys grandioses, herb und kantig erscheinendes Spätwerk, das Oratorium „Elias“. Wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und unaufhörlich seine Kreise zieht, ist der Hörer plötzlich und unmittelbar in das biblische Geschehen einbezogen.

Es kreist um die Wunder der Wiedererweckung eines toten Knaben und eines Brandopfers gleich einem Gottesgericht. Es beschreibt auf höchst dramatische Weise, wie der Gotteseiferer den Regen auf das ausgedörrte Land herabzwingt und wie er das Volk zum Mord an Baal-Priestern anstachelt. Gleicht er nicht jenen, denkt man unwillkürlich, die heutzutage gegen Ungläubige wettern und ihnen das Messer an die Kehle setzen wollen?! Ist es vielleicht religiöse Selbstbehauptung, wenn man falsche Götter vernichtet? Nur: wer ist falsch, was richtig? Sind Glaubenskriege richtiges Mittel, um aus ewigem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt auszubrechen? Hat Toleranz dabei (k)eine Chance?

Fragen über Fragen, die einem die packende Wiedergabe des „Elias“ durch den Dirigenten Ud Joffe zum Abschluss der „Vocalise 2006“ in der Erlöserkirche unwillkürlich stellten. Zusammen mit der Potsdamer Kantorei, dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt und einem vorzüglichen Solistenaufgebot entschied sich der jüdische Dirigent dafür, den religiösen Fanatismus des Titelhelden der Kritik der Zuhörer auszuliefern, ohne diesen jedoch zu denunzieren oder zu verherrlichen. In dieser Gratwanderung lag die Chance zu einer brisanten, hoch aktuellen, tiefgründig auslotenden Wiedergabe, die keine Minute der Langeweile kannte.

Voller Verve stürzten sich die Frankfurter Musiker in die unruhige, dann dramatisch aufgewühlte, von fahlen Farben geprägte Ouvertüre. Nie gewalttätig wirkende Blechbläsereinwürfe unterstützten markante Choranrufungen, umschmeichelten streicherweich fragende Bitten, flehentliches Verlangen und wunderreiche Geschehnisse. Den Intentionen des Dirigenten folgten die Musiker wie auf dem Sprung: mit klangschön-dramatischem Musizieren, dynamischer Flexibilität, präzisem Zusammenspiel. Mit den bestens geschulten Stimmen der Potsdamer Kantorei befand man sich in guter Abstimmung: keiner suchte den anderen zu übertönen – stattdessen potenzierten sie sich im Dienst am Werk.

Mitunter war man nur einen Wimpernschlag vom perfekten Hörgenuss entfernt. Dass vier Choristen in solistischen Aufgaben glänzen konnten, spricht für Joffes exzellente Chorarbeit. Voller dramatischer Wucht, aber dennoch überaus kultiviert, sangen sie von erhabener Größe und Glaubensinnigkeit, trieben die Handlung unaufhörlich voran, begeisterten mit der Beschreibung des zürnenden wie gnädigen Gottes sowie der klangprächtig ausgekosteten Himmel-Fahrt des Titelhelden.

Den meißelte James Creswell mit seinem markanten, kraftvollen Bass als einen arroganten, herrischen, total undiplomatisch seine Forderungen vertretenden Eiferer. Er sang seinen (total textverständlichen) Part sozusagen mit geballter Faust. Fabelhaft. Der kurzfristig eingesprungene Tenorlyriker Nico Eckert (als Obadjah und Ahab) überzeugte mit textanteilnehmender Gestaltung, leicht geführter Stimme und graziler Höhe.

Ausgeglichen und gefühlvoll trug Bhawani Moennsad mit ihrem schlank geführten Alt die Verkündigungen eines Engels und der Königin vor. Im Bemühen um dramatische Auslegungen vertraute Antje Perscholka voll und ganz auf ihren vibratoreichen, mitunter leicht verhangen wirkenden Sopran. Nicht als Füllfarbe, sondern als konstitutives Element war die Orgel (Tobias Scheetz) bei ihren lobpreisenden Einsätzen stets deutlich vernehmbar. Der gleichsam musiktheatralischen Aufführung fiel enthusiastischer Beifall zu. Die „Vocalise 2006“ konnte keinen krönenderen Abschluss finden! Peter Buske

Peter Buske

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