Kultur: „Würdig eines Kannibalen“
Toleranz auf Raten? Mendelssohn, Lessing und die Judenpolitik Friedrichs des Großen bei den „Potsdamer Gesprächen“
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Es spannte einen weiten Bogen, das Gespräch zur Judenpolitik Friedrichs des Großen, der im Laufe des sich nun zum Ende neigenden Friedrich-Jahres noch nicht allzu viel Aufmerksamkeit gewidmet worden war. Über „Toleranz auf Raten? Mendelssohn, Lessing und die Judenpolitik Friedrichs des Großen“ diskutierten am Dienstagabend im Filmmuseum Julius Schoeps vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam und Thomas Lackmann von der Mendelssohn Gesellschaft. Ein Thema, das sich in der mit vielen historischen Fakten unterlegten Betrachtung der beiden Diskutanten als recht vielschichtig erwies.
Sowohl Thomas Lackmann als auch Julius Schoeps betonten, dass das Verhältnis Friedrich II. zu den Juden stark von Nützlichkeitserwägungen geprägt war, die sich mit philosophischen Idealen und toleranten Ideen verbanden oder eben nicht. Thomas Lackmann stellte aber heraus, dass letztlich das Ressentiment Friedrichs II. über merkantile Klugheit gesiegt habe, sonst hätte man den Juden größere Spielräume eingeräumt, wie es in den nachfolgenden Generationen passiert sei. Für ihn ist Friedrich damit ein Kind seiner Zeit.
Julius Schoeps verwies eher auf Doppelgesichtigkeiten und Ambivalenzen, von denen das Verhältnis von Friedrich II. zu den Juden und den Juden zu ihm geprägt gewesen sei. Als Beispiele führte er nicht nur die Predigten zugunsten des Königs an, die Juden in der Zeit seiner Kriege gehalten hätten, während der König 1750 sein Juden-Reglement erlassen habe, welches der französisches Schriftsteller Mirabeau „würdig eines Kannibalen“ genannt hat. Er verwies auch darauf, dass die Juden sich trotz aller ihnen vonseiten des Königs und den Behörden bereiteten Schwierigkeiten zugehörig gefühlt hätten.
Einen interessanten Diskurs setzte Moderatorin Irene Diekmann mit der Frage in Gang, was um 1740/1750 denn Toleranz gewesen sei. „Toleranz“, formulierte Julius Schoeps – in diesem Kontext ebenso überraschend wie einleuchtend – „fordern immer Minderheiten. Mehrheiten oder Herrscher – warum sollen die denn tolerant sein?“ Aus seiner Sicht war Friedrich II. ein großer König, der viele Verdienste hat. Aber dem Licht ständen eben auch Schattenseiten gegenüber.
„In seiner Widersprüchlichkeit“, resümierte Thomas Lackmann, „und der Tragik – der Musensohn, der zum Schlachtenlenker wird – finde ich Friedrich II. eine spannende Figur.“ Und er setzte hinzu: „Aber ich möchte nicht unbedingt von ihm regiert werden.“
Ob denn die facettenreichen Aktivitäten zum 300. Geburtstag des Königs das Bild Friedrichs so transportiert hätten, das wir ihn wirklich differenziert wahrnehmen? Schoeps hatte den Eindruck, man kehre zur Friedrich-Bewunderung zurück. Ihm fehlte etwas kritische Sicht. Damit gab er das Stichwort für die Replik einer Zuschauerin, die den Bogen von den Repressalien Friedrichs gegen die Juden bis in die Gegenwart schlug.
Sehr gut ergänzte der Film „Freunde in Preußen oder ob ein edler Jude etwas Unwahrscheinliches sei“, der die Freundschaft zwischen dem sächsischen Jungdramatiker Lessing mit dem jüdischen Gelehrten Moses Mendelssohn in den Mittelpunkt stellte, das Gespräch. Denn die im Preußen-Jahr 1981 entstandene deutsch-deutsche Koproduktion – die in beiden deutschen Staaten ausgestrahlt wurde – vermochte etwas, was Filme oft besser können als Gespräche: Sie machte die Atmosphäre zu Lebzeiten Friedrich II. lebendig.Gabriele Zellmann
Gabriele Zellmann
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