
© Christian Keller
Potsdamer Jugendtheater: Zähflüssig auf die Überholspur
Der Theaterjugendclub brachte mit „spielemacher“ schwere Kost auf die Bühne.
Stand:
Jugendliche und Macht war das Thema des selbst erarbeiteten Stückes „spielemacher“ des Theaterjugendclubs des Hans Otto Theaters, Selbstdarstellung und Kommunikation – die Entfremdung in der modernen Welt, ein aufdringliches Thema, das vor Aktualität nur so strotzen müsste. Das Bühnenbild (Anna Brückner) war großartig, verschiedene Türen auf allen Seiten, gleichsam Ausgang und Eingang symbolisierend, eine erschlagende Symbolik. Frischer geht Theater wohl kaum – man konnte diese frische Luft bei der Premiere am Dienstag in der Reithalle förmlich durch die geöffneten Türen spüren.
Dennoch kam das Stück erst zähflüssig in Gang: Das lag vielleicht am Eifer, Theater spielen zu wollen, das sofort als Theater spürbar war, theatralisch eben, mit großen Gesten. Dass genau diese Intention arg bemüht daherkommen konnte, wurde jedoch zu wenig berücksichtigt. So bedient sich auch Autor Christopher Heyder hochtrabender Phrasen alter Meister, eine recht klobige Wortwahl, antiquiert bisweilen, bis hin zu schwer verdaulich. „Wir sind doch alle auf der Suche nach dem Licht, das keine Schatten wirft“, wurde bedeutungsschwanger postuliert, oder Phrasen wie „Ein Teufelspfand in meiner Seele gleich“. Da musste man sich schon bis zum Kopfschmerz konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren. Sollte diese altertümliche Sprache etwa die moderne Kommunikation konterkarieren? Bei Facebook würde man das doch auch nicht posten. Oder haftet der Institution Theater etwa immer noch der Ruf an, staubtrockene Texte generieren zu müssen? Nicht doch!
Die Ideen jedoch waren wirklich gut, und das junge Ensemble spielte in der Inszenierung von Johannes Keller stringent und fesselnd. Auch wenn sich die Dialoge manchmal in sich selbst verloren, konnte man kurzweiliges Schauspiel erleben, mit einer Lust zu spielen, dass man sich um die künftige Generation von Schauspielern keine Sorgen zu machen brauchte. Die Experimente waren gut überlegt, Dialoge als Interaktion mit dem Publikum zu gestalten beispielsweise, was den Graben zwischen Zusehen und Gestalten, zwischen Sitzreihen und Bühne verschwinden ließ. Auch wenn die Schauspieler sich an den verklausulierten Texten abmühten, büßten sie kaum an Authentizität ein – trotz des anstrengenden Spagats zwischen philosophischem und metaphorischem Gestus.
Holpernd kam der Karren mehr und mehr in Gang, beschleunigte und zog auf die Überholspur: Steckte der omnipräsente Strippenzieher Miro (Tenzin Kolsch) zunächst noch in gestelzter Theatralik fest, bekam seine Rolle mehr und mehr Form und entwickelte sich zu einem zynischen Charakter, welcher seine Machtposition auskostete. Und auch Frank (Hauke Petersen), der zunächst noch etwas verloren seine Position suchte, bekam immer mehr eine beeindruckende Tiefenschärfe. Das quirlige Zentrum des Geschehens war Florentine (Katja Plodzistaya), die mit einer bange machenden Intensität spielte. Je mehr das Stück an Fahrt aufnahm, desto weniger vermisste man den roten Faden und gewöhnte sich an die metaphorische Interpretation von Gewalt und Macht, die wie in einem Brennglas mehr und mehr erkennbar wurde. Das war das Schauspiel, das man sich erhofft hatte: Als Chiara (Lisa Schwarzer) in ihrer scheiternden Koordination von Drogensucht und Verantwortungsbewusstsein zum Showdown im Hintergrund saß und auch ohne Text ihre tragische Figur spielte, konnte man kaum die Augen von ihr lassen, so sehr fesselte ihre Präsenz.
Und so wurde das schlingernde Stück immer stabiler, ein Kaleidoskop, an das man sich erst gewöhnen musste. Da brannte sich der Effekt schließlich ins Bewusstsein, die etablierten Verhältnisse kippten und der Mensch blieb als das zurück, was ihn für sich und für andere so gefährlich macht: als Erschaffer und gleichzeitig gottgleicher Zerstörer der Individualität – auch wenn die Schusswaffe als amokhaftes Machtsymbol ein wenig zu inflationär eingesetzt wurde. Dennoch: „spielemacher“, ein mitreißendes Stück.
Oliver Dietrich
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