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Lustvoll und perfekt. Johann Joachim Quantz’ Flötenkonzerte trug die Solistin Jana Semeradova vom Ensemble „Die Kleine Cammer-Music" vor.

© Stefan Glöde

Kultur: Zart wie Schokoladenschmelz

Flötentöne und Arien mit dem Ensemble „Die kleine Cammer-Music“ in der Friedenskirche

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„Sein königlicher Herr und Scholar spiele keine anderen Konzerte, als die er ausdrücklich für ihn gesetzt hätte, deren Anzahl sich auf dreihundert erstrecke. Und diese spiele er nach der Reihe.“ Das ließ Johann Joachim Quantz, Kammermusikus, Komponist und Flötenlehrer Friedrichs II., den englischen Musikgelehrten Charles Burney wissen, der im Rahmen einer musikalischen Reise in Potsdam Station macht. Dort erlebt er einen abendlichen Auftritt des Königs und zeigt sich „sehr erfreut und sogar erstaunt über die Nettigkeit seines Vortrags in den Allegros sowohl als über seinen empfindungsreichen Ausdruck in den Adagios.“ Seine Majestät „spielen drei lange und schwere Konzerte gleich hintereinander und alle mit gleicher Vollkommenheit“. Quantz (1697-1773) hätte dabei nichts anderes zu tun gehabt, „als bei dem Anfange eines jeden Satzes mit einer kleinen Bewegung der Hand den Takt anzugeben, außer dass er zuweilen am Ende der Solosätze und Kadenzen ‚Bravo!’ rufe, welches ein Privilegium zu sein scheint.“

Ähnliche Aufgaben hatte Wolfgang Hasleder, Geiger und Gründer des klangfeinen Potsdamer Ensembles „Die kleine Cammer-Music“, bei der nachempfundenen „Königlichen Cammermusik“ am Freitag in der Friedenskirche zu erfüllen. Auch diesmal stehen drei Quantzsche Flötenkonzerte aus dessen späten Jahren auf dem Programm. Alle „mit einer solchen unwandelbaren Beständigkeit“, so Burney, was man sicherlich auch als störrisches Beharren auf tradiertem Musikgeschmack des Monarchen bezeichnen könne. Doch wenn Majestät in seinem Tagesablauf ständig zwei Stunden fürs Flötenspiel vorsehe, um endlich bei sich selbst zu sein, so die Gedankenanregung von Hasleder in seiner historisch fundierten und anekdotenreichen Moderation, wollte der dann unbedingt „neumodisches Zeugs zur Selbstverwirklichung“ spielen?! Überlegenswert, diese These, mit der sich Quantzens Eingebungen plötzlich ganz anders anhören.

Anstelle des flötenden Friedrich begeistert die tschechische Traversflötistin Jana Semeradová, die in Potsdam bei den Bachfesten von Björn O. Wiede häufig auftritt und längst einen exzellenten Ruf genießt. Sie verfügt über einen sicheren Geschmack, gleichmäßig strömenden Atem (wann holt sie je Luft?), flinke Finger und jene Ausdruckinnigkeit, die für die Adagios unentbehrlich sind. Neben Hasleder wird sie von Nadja Zwiener (Violine II), Heinrich Kubitschek (Viola), Kathrin Sutor (Violoncello), Michelle Wenderlich (Violone) und Sabine Erdmann (Cembalo) begleitet. Ein straff und vibratolos artikulierendes Ensemble, das im ersten Satz des einleitenden C-Dur-Concerto Nr. 293 noch mit großer Lautstärke und etwas zu schärflichem Klang die Solistin dominiert, deren Blaskunst sich erst in den Tuttipausen so richtig entfalten kann. Empfindsam und ausdrucksvoll bläst sie den Mittelsatz, um sich voller Fröhlichkeit ungestüm in die kapriolenreichen Läufe und Figurationen des Prestofinales zu stürzen. Hätte das der König auch so virtuos blasen können?

Nicht weniger rasant die Sechzehntelläufe eingangs des e-Moll-Concerto Nr. 295, von Jana Semeradová lustvoll und technisch perfekt ausgeführt. Die schlackenlos schwingende Luftsäule ihrer Flauto traverso verbindet sich mit den Saitenschwingungen der anderen Instrumente wesentlich organischer, besonders auffällig im betörenden Mittelsatz, der zart schmelzend wie eine Alpenmilchschokolade aufklingt. Nicht unwesentlich zur Klangbildung trägt die Körperhaltung der Solistin bei, die den jeweiligen musikalischen Spannungs- und Stimmungszustand intuitiv erfasst und zu transformieren versteht. Galantes hält auch Quantz’ letztes, sein 300. Flötenkonzert c-Moll bereit, über dessen Vollendung er allerdings stirbt. Das fehlende finale Allegro hat Friedrich nachkomponiert. Von pastoralen Stimmungen ist der Eingangssatz erfüllt. Sordinierte Streicher sorgen im Lento für einen entsagungsvollen, abschiedsähnlichen Ausdruck. Ahnte der fleißige Notenschreiber sein nahes Ende?

Da einst in der „Königlichen Cammermusik“ auch der Vortrag von Opernarien seinen Platz hat, werden sie auch diesmal zwischendurch angestimmt. Von der Sopranistin Christine Wolff, deren warmes Timbre – geprägt von voluminöser, ausdrucksstarker Mittellage – sich rein, glockenhell und geschmeidig aus „geläufiger Gurgel“ (Mozart) höhenleicht und lieblich entfaltet. Sicher beherrscht sie die Koloraturenakrobatik in der allegorischen Arie „Ich bin wie die arme Taube“ aus Johann Adolf Hasses „Cleofide“, lodert nicht minder eindrucksvoll die Wutrache-Affekte „Königin bin ich nicht mehr, bin Furie“ aus Carl Heinrich Grauns „Armida“. Spannende Seelenenthüllungen, mit stimmlicher Leichtigkeit vorgetragen. Das Publikum ist von den königlichen Flöten- und Gesangstönen hellauf begeistert.

Peter Buske

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