Kultur: Zauber auf afrikanisch
Merlin Nyakam und „La Calebasse“ begeisterten
Stand:
Dunkel ist die afrikanische Nacht, energetisch und fordernd die Schreie, die sie durchdringen und die Zuschauer in eine andere Welt entrücken. Ein fahl geschminkter, schwarzer Mann kommt auf die Bühne, er trommelt und schreit. Das versteht man zwar nicht, weil es eine afrikanische Sprache ist, aber man versteht, dass ein bisschen Aggression mit drinsteckt in dieser Geste. Ein Gazevorhang zieht sich über die dunkle Bühne, auf ihm erscheinen als Videoeinspielung Gesichter. Mal schwarz, mal weiß. Sie ziehen Fratzen, sie grimassieren bis zur schieren Unerträglichkeit, sie verziehen sich so lange, bis ein Feuer züngelt – dann erklingt eine freundliche klassische Musik. Vielleicht Bach, ein bisschen Oper, eine Welle der Bekanntheit mitten im Ozean des schwarzen Kontinents, der so plötzlich auf der Bühne entstanden ist, als habe ein Zauberer seine Hände mit im Spiel. Tatsächlich wird Merlin Nyakam auch „der Zauberer“ genannt, und er hat unzweifelhaft magische Kräfte. Seine Gruppe „La Calebasse“ mischt in einer rasenden Flexibilität, Agilität und Lust zur Selbst- und Fremdironie afrikanische Elemente mit jenen der westlichen Tanzavantgarde.
Im Nu hatte die Truppe am Pfingstsamstagabend die Zuschauer in ihren Bann gezogen. Merlin Nyakam, der in Kamerun geboren wurde und mit vierzehn Jahren schon Mitglied des kamerunschen Nationalballetts war, lebt inzwischen in Frankreich und trägt seinen Namenszusatz stolz und nicht zu unrecht. Schnell waren die drei Trommler, vier Tänzer und eine Tänzerin auf die Bühne gekommen, schnell in eine Art ritueller Tanz verstrickt, der immer höhere Wellen der Erregung empor schnellen ließ und sich als prickelnde Energie auf das Publikum übertrug. Die Schwarzen kokettierten mit ihrem Image des „Primitiven“ – das Stück hieß „Récréation primitive“, was man mit „primitiver Erholung“ übersetzen würde, wobei aber auch die „Erholung von den/der Primitiven“ mitschwingt und so das weite Feld von Diskriminierung, Kolonialisierung und der Wahrnehmung über Klischees neu besät, aber durch die großzügige und humane Ironie alle Diskriminierung wirkungslos macht.
Mit großer Lust machten sich die Afrikaner an das eigene Klischee, sie liefen über die Bühne im nur halb aufrechten Gang, sie suchten die Ekstase, stießen wilde Schreie aus, ließen die Trommeln durch die dunkle Nacht tönen, dass man sich tatsächlich in den „Busch“ versetzt meinte. Sie gruppierten sich um ein nicht vorhandenes Lagerfeuer, hockten und brabbelten und suchten Hilfe im Woodoo-Zauber, sie zogen sich Kopftücher auf die wilden Haare, um Frauen zu spielen, die den Männern das Leben nicht gerade leicht machen; keines unserer Klischees blieb ungenannt und durch eine Geste, einen Ton, ein Manu-Di-Bango-Trommeln in der schwarzen Nacht der Bühne der fabrik war es aufgerufen und durch die Übertreibung gleich wieder wie eine Seifenblase geplatzt. Moderne und archaische Elemente wurde auf frivolste Weise miteinander vermischt, der eigene Blick zum fremden, die eigene Entfremdung zum großen Wunsch nach „primitiver Unmittelbarkeit“. Der Spaß an den Albernheiten ging einher mit einer wundersamen Beherrschung der Bühne, die sich unter der Choreographie von Merlin Nyakam dehnte und wieder zusammenzog, als sei sie wie die Zeit in Bewegung gekommen, und als gäbe es für eine Bühne keine andere Aufgabe als die, die Weite der afrikanischen Steppe zu evozieren, um im nächsten Moment in das Gewusel eines übervölkerten Dorfes überzugehen. Die Schnelligkeit der Verwandlung war eines der Geheimnisse dieses außergewöhnlichen Abends, die Körperbeherrschung der agilen Tänzer, der pochende Einsatz der Trommeln und die Dominanz des meist afrikanischen Gesanges verwandelten das Publikum in einen einzigen bewegten Körper, der am Ende nur noch begeistert in die Hände klatschte und gar nicht mehr aufhören wollte. Lore Bardens
Lore Bardens
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