Kultur: „Zeit, das ganze Geheimnis zu enthüllen“
Die Memoiren der Wilhelmine von Bayreuth – Schwester Friedrichs des Großen – in einer Neuübersetzung von Günter Berger
Stand:
Ihr beißender Spott war allbekannt. Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, 1709 als Prinzessin von Preußen geboren und Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, beschrieb in ihren Memoiren mehrfach Zeitgenossen mit spitzer Zunge. Auch der jüngste Bruder ihres Schwiegervaters blieb davon nicht verschont: Friedrich Christian von Brandenburg-Bayreuth, ein Sonderling der Familie, besuchte 1732 Bayreuth, und Wilhelmine zeichnete damals ein anschauliches Bild von ihm: „Er war eher groß als klein und recht wohl gestaltet; die Anzahl seiner Hirngespinste beanspruchte jede Menge Platz; der stand ihm in seiner Birne, die von beachtlicher Größe war, ausreichend zur Verfügung. Zwei kleine blassblaue Schweinsaugen füllten die Leere dieses Kopfes mehr schlecht als recht aus. (...)“
Mit solchen drastischen Schilderungen würzte die preußische Prinzessin gern ihre Beobachtungen sowohl am Berliner Hof als auch später an den kleinen Höfen in der fränkischen Provinz, in die es sie nach ihrer Hochzeit 1731 mit dem Erbprinzen Friedrich von Bayreuth verschlagen hatte.
Nachzulesen sind Wilhelmines Lebenserinnerungen nun in einer neuen, sehr lebendigen Übersetzung aus dem Französischen, die der Bayreuther Universitätsprofessor Günter Berger besorgte und mit erläuternden Anmerkungen sowie einem Nachwort versah. Die kurzweilige Lektüre des Textes wird erleichtert durch eine Kopfzeile, in der die jeweilige Jahreszahl sowie eine knappes Stichwort einen schnellen Überblick gestatten.
Schon in damaliger Zeit dürstete die Öffentlichkeit nach intimen Details des höfischen Lebens. Seit dem 17. Jahrhundert verbreitetete sich von Frankreich aus die meist unter Pseudonym publizierte Memoirenliteratur. In Wilhelmines Bibliothek standen zahlreiche dieser teils fiktiven, teils „echten“ Memoiren bzw. Romane. Sie selbst schrieb an ihren Lebenserinnerungen etwa bis in das Jahr 1744, in einer Zeit, da ihr persönliches Eheglück zeitweise von der amourösen Affäre ihres Gemahls mit ihrer Vertrauten Wilhelmine von der Marwitz überschattet war. Möglicherweise war dies ein Anlass für sie, ihr Leben Revue passieren zu lassen. Dabei wolle sie nichts beschönigen, wie sie selbst mehrfach in dem Text betont. Wie Günter Berger im Nachwort herausstellt, sind es oft persönliche Krisen, die Menschen dazu veranlassen, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen und ihre Memoiren zu schreiben. Der Tod ihres Vaters, König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, Zerwürfnisse mit der Mutter Sophie Dorothea und vor allem die um diese Zeit eingetretene Entfremdung von ihrem Bruder Friedrich, mit dem sie eine tiefe familiäre und geistige Beziehung verband, mögen weitere Beweggründe gewesen sein.
Wilhelmine beginnt mit ihrer traumatischen Kindheit und den Intrigen am Berliner Hof. Sie beschreibt ihre Zerrissensein zwischen den Wünschen der Mutter und den Befehlen des Vaters, besonders bei den komplizierten, nervenaufreibenden und dann doch gescheiterten Verhandlungen zu ihrer Verheiratung. Der Erbprinz Friedrich von Bayreuth tauchte plötzlich, auch zur Überraschung Wilhelmines unerwartet als Heiratskandidat auf. Noch jung und unerfahren und kaum nach seiner eigenen Meinung befragt schien er von allen in Frage kommenden Kandidaten der geeignetste zu sein. Und tatsächlich entwickelte sich eine zumindest anfangs innige Beziehung zwischen den beiden jungen Eheleuten, die die Staatsräson zusammen gebracht hatte.
Doch dies konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass sich die preußische Königstochter weit unter ihrem Rang verheiratet hatte. Von ihrem Vater und Schwiegervater mit nur spärlichen finanziellen Mitteln ausgestattet beklagt sie sich immer wieder, dass sie nicht ihrem Stand gemäß Hof halten konnte. Beschreibungen von Besuchen bei den fränkischen Verwandten spickt Wilhelmine mit humorvollen Details über deren Aussehen, Charakter und Lebenswandel, wie das eingangs zitierte Porträt. Mit Standes-, aber auch mit großem weiblichen Selbstbewusstsein wird sie zur Verfasserin ihrer Memoiren. Dies ist das eigentlich Ungewöhnliche, ja Moderne der Aufzeichnungen. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen professionelle Autorinnen die Feder ergreifen, ist sie die erste Frau, die selbst als Protagonistin der Geschichte(n) eine Autobiographie schreibt. Wilhelmine plante wohl nicht, ihre nach allen Regeln der Memoirenkunst verfasste Innenansicht des brandenburgisch-preußischen Hofes zu veröffentlichen. 52 Jahre nach ihrem Tod (1810) wurde der Text erstmals in deutscher Sprache publiziert. Man hielt ihn vorerst für eine antimonarchistische Fälschung, da die Beschreibung des Berliner Hofes zu skandalös schien. 1848 aber entdeckte man das französische Original, und alle Zweifel wandelten sich in fassungslose Überraschung über die Zustände am preußischen Hof, die noch heute höchst amüsant und lesenswert erscheinen. Silke Kiesant
Memoiren einer preußischen Königstochter. Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Bayreuth 2007.
Silke Kiesant
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: