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Kultur: Zeit zum Wachsen

Im Gespräch: Bassbariton Hanno Müller-Brachmann

Stand:

Herr Müller-Brachmann, Sie singen als ausgewiesener Mozart-Experte an der Staatsoper Berlin alle großen Partien. Am heutigen Samstag geben Sie im Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam dem Lied den Vorrang und interpretieren Gustav Mahlers Lieder nach Texten von Friedrich Rückert. Ist das Lied für Sie eine besondere Nische?

Zuallererst möchte ich klarstellen, dass ich mich nicht als irgendein Experte sehe, sondern Sänger bin und die Vokalmusik im Allgemeinen mein Bereich ist. Schon als Kind hatte ich schon meine ersten Kontakte zu Liedern und Oratorien.

Und wann kam die Oper auf Sie zu?

In die Oper bin ich regelrecht hinein geschmissen worden. Das war im ersten Semester meines Studiums in Freiburg. Meine Lehrerin schickte mich zum Vorsingen bei Donald C. Runnicles ans Freiburger Stadttheater. Da konnte ich noch nicht mal eine Opernarie. Also sang ich mit einem Schubert-Lied vor.

Und Sie überzeugten.

Offensichtlich. Daraufhin hatte ich dort mein Operndebüt als Truffaldino in Aridne auf Naxos von Richard Strauss und bin dann, noch während des Studiums, an die Staatsoper Berlin gekommen und durfte auch ganz viel Mozart singen. Das ist mein Kernrepertoire. Ich habe aber auch ganz viel anderes gemacht.

Warum sperren Sie sich gegen das Wort Experte?

Weil ich nicht in irgendeine Schublade gesteckt werden möchte. Ich liebe die Vielfältigkeit. Ich habe sowohl Barockopern als auch zeitgenössische Uraufführungen gemacht, Mahler und Mozart gesungen, Debussy und Tschaikowsky. Auch der erste Wotan liegt hinter mir. Musik ist ein Universum, alles fußt aufeinander. Es ist wie ein Stammbaum. Ich möchte mich nicht nur mit einem Zweig beschäftigen. Mich interessiert der ganze Baum.

Und wo wurzelt Ihr Baum?

Ich glaube in der tiefen Liebe zur Musik durch die Prägung im Elternhaus und nicht zuletzt im Knabenchor. Ich bin bildungsbürgerlich aufgewachsen. Jeder spielte ein Instrument, wir machten ein bisschen Hausmusik, sangen zusammen. Es ist ganz wichtig, dass Eltern mit Kindern singen und das Singen als natürliche Lebensäußerung begreifen und nicht als etwas Künstliches, Komisches oder Peinliches. Es gehört einfach dazu. Beim Autofahren singt man Kanons. Ganz klar.

Sie sind in den Gesang hineingewachsen?

Er war immer da. Ich habe gern gesungen und auch immer die Töne getroffen. So war ich erst auch im Kinderchor, aber das war mir zu langweilig, zu kindlich. Statt auf den Fußballplatz zu gehen, habe mir Dirigentenstäbe gekauft und die Matthäus-Passion dirigiert.

Waren Sie Einzelgänger?

Sicher. Mein Thema hat die Mehrheit nicht fasziniert. Ich war glücklich, als ich den Knabenchor Basel gefunden hatte. Innerhalb des Chores traf ich Gleichgesinnte und war nicht mehr der Außenseiter. Da habe ich gemerkt, ich bin nicht allein. Das war sehr prägend. Meine ersten Liederabende habe ich dann mit 16 gegeben, als Knabensopran am Cello.

Lieder müssen beseelt werden. Kann man das mit 16?

Man wächst durch die Lieder und das Interesse daran. Die Neugierde ist die Mutter aller Qualität. Sicher habe ich damals noch nicht so viel verstanden wie heute. Aber jeder fängt mal an und wächst dann vor sich hin und ich hatte das Glück, von guten Musikern gegossen, gehegt und gepflegt worden zu sein.

Wer goss Sie besonders?

Ich hatte ein wahnsinniges Glück, als die Primadonna am Freiburger Statdttheater zu mir sagte: Du singst doch so gerne Bach. Mein Mann hat einen Chor in Berlin, singe ihm doch mal was vor. Und so stand ich mit 22 in der Berliner Philharmonie und sang Jesus in der Johannes-Passion. Das sind natürlich unglaubliche Impulse. Ich wusste damals weder, wer der Rias-Kammerchor noch wer Marcus Creed ist. Das war auch ein Stück Naivität und Chupze. Und so bin ich da durch gestolpert.

Inzwischen sind Sie auf allen renommierten Opern- und Konzertpodien zu Hause, sangen in San Fracisco, Sevilla, Modena, Tokio ... Wo finden Sie Ihre Erdung?

Ich habe mich immer beschränkt, wollte vor allem immer an dem Ort sein, wo meine Kinder groß werden. Und das war Berlin und die Situation an der Staatsoper hat mir das ermöglicht.

Hat diese Erdung auch etwas verhindert?

Natürlich. Ich konnte nicht alle ehrenhaften Anfragen wahrnehmen, die da kamen. Das ist ein Stück schade und ein Stück Gnade, weil man mehr Zeit zum Wachsen hat. Und mit der Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim zu wachsen, ist ein schönes Privileg.

Sie sind da sicher eher die Ausnahme, die zugunsten der Familie auf die uneingeschränkte Karriere verzichtet.

Sicher. Ich habe gerade auch mein Debüt in der Metropolitan Opera New York abgesagt, weil wir jetzt nach Karlsruhe ziehen, wo ich eine Professur für Gesang habe. Ich möchte meine drei Kinder nicht sechs Wochen in der neuen Umgebung allein lassen. So setze ich Schwerpunkte.

Sie haben 2011 nach 13 Jahren Zusammenarbeit Ihr Engagement an der Staatsoper gelöst.

Ich konzentriere mich jetzt mehr auf das Lied und Konzerte, um lange Abwesenheiten von zu Hause zu vermeiden. Ich höre darauf, was meine Stimme und meine Seele benötigt.

Und die benötigt jetzt Mahler? Was ist die Seele dieser 1901 geschriebenen Lieder?

Es werden so viele menschliche Farben beleuchtet. Die Lieder nach Rückert-Texten sind ja sehr unterschiedlich: Es sind schmunzelnde Lieder und ganz abgründige Lieder, wie „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Das habe ich diesmal an den Schluss gestellt, auch wenn das nicht sehr applausheischend ist. Aber ich finde, nach diesem Lied kann nichts mehr kommen. Sehr schön an dem Zyklus ist die Vielfältigkeit der Charaktere. Sie sind humorvoll, lyrisch und erzählen von Einsamkeit. Und ich freue mich, dass ich sie in kammermusikalischer Begleitung singen darf: mit vielen Orchesterfarben, aber nicht mit Orchestermassen.

Das Gespräch führte Heidi Jäger.

Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam am heutigen Samstag, 19.30 Uhr, im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10

Hanno Müller-Brachmann,ist in Südbaden aufgewachsen, besuchte die Liedklasse von Dietrich

Fischer-Dieskau,

gehörte von 1998 bis 2011 zum Ensemble der Staatsoper Berlin

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