Kultur: Zeitlos
Die Liebe und ihr Scheitern im Schlosstheater
Stand:
Die Zeit zerfrisst das Besondere. Sie zerkratzt wie grober Sand jeden Glanz, wischt beständig über das Schöne, das Strahlende und gibt noch nicht einmal dann Ruhe, wenn nur noch Stumpfheit übrig ist. Sie ist das Perpetuum mobile der Vergänglichkeit, das schleift und schleift und schleift, bis nichts mehr übrig ist. Und wir schauen hilflos zu. Hilflos zwar, aber nicht machtlos. Denn immer wieder gelingt es dem Menschen, dem etwas entgegenzusetzen.
Für Franz Liszt und Marie d’Agoult gab es dieses Besondere, diese Schönheit und den Glanz, den Menschen erleben, wenn sie lieben. Und die Zeit hat diesen Glanz zerkratzt, bis nur noch alltägliches Grau übrig blieb und beide getrennte Wege gingen. In ihrem literarisch-musikalischen Programm „Wenn ihre Stimm’ im Kuss verhallt“ hatten die Schauspielerin Corinna Harfouch und die Pianistin Hideyo Harada am Freitagabend im Schlosstheater im Neuen Palais das Beginnen und Zerfallen der Liebe zwischen Franz Liszt und Marie d’Agoult nacherleben lassen. Eine Zeitreise im Rahmen der Potsdamer Hofkonzerte, die in dem Zwischenmenschlichen, dem verliebten Überschwang und dem banalen Scheitern zeitlos war und auf beeindruckende Weise zeigte, wie der Mensch mit Wort und Musik diesen persönlichen Niederlagen, dem Perpetuum mobile Zeit entgegenzutreten vermag. Wobei hier die Musik das überzeugendste Argument lieferte.
Es waren Auszüge aus den Memoiren von Marie d’Agoult und dem Briefwechsel zwischen ihr und Franz Liszt, aus denen Corinna Harfouch las. Am stärksten war die Schauspielerin bei dem Briefwechsel, dem sie etwas eilend Flüchtiges gab. Briefe, die im 19. Jahrhundert oft Tage brauchten, wurden hier zum rasanten Wortwechsel der anfangs euphorisch Verliebten und dann zusehends Desillusionierten. Las Corinna Harfouch dagegen aus den Memoiren der Gräfin d’Agoult, die von dem vergeblichen Versuch der Verliebten berichten, sich für ihr Glück zu entscheiden und sich so gegen die Konventionen ihrer Zeit – die sechs Jahre ältere Marie d’Agoult war verheiratet und hatte zwei Kinder – aufzulehnen, wirkte das Gelesene oft wie etwas Fremdes. Manchmal schien sie förmlich aus dem Text gefallen und machte Pausen, die dramaturgisch keinen Sinn ergaben. Ganz anders Hideyo Harada. Sie ließ Liszts Musik sprechen. Und wie!
Mit den lyrisch-leichten, ruhig-gefühlvollen Consolationen Nr. 3 und Nr. 2 eröffnete Hideyo Harada den musikalischen Teil, gefolgt von der Noturno Nr. 3, dem Valse Impromptu und „Un Sospiro“. Die Pianistin gab diese Musik als Abbild von Liszts Gefühlswelt. Das beschwingt Überraschte des Verliebtseins und der die ganze Welt umarmende Überschwang, die ersten leichten Zweifel im noch Unbekümmerten, das Tragische des Kommenden, das Zerbrechen und Verzweifeln – all das ist in dieser Musik. Doch so klar und schön, so leicht und überzeugend wie an diesem Abend hat man das selten gehört. Euphorie und Abgründe durchmaß Hideyo Harada an diesem Abend. Mit einer scheinbar unermesslichen Palette an Klangfarben, mit einer Technik, die das Virtuose in Liszts Musik zur erzählenden Spielerei machte und einer Dramaturgie, die jedes Stück zu einem kleinen Drama werden ließ. Am Ende „Vallée d’Obermann“, wo alles noch einmal aufschien. Das verliebte Jauchzen wie das tiefschmerzende Verzweifeln in einer musikalischen Sprache, die tief berührte und heftig aufwühlte. Da frisst, kratzt und wischt die Zeit vergeblich, solange es Interpretinnen wie Hideyo Harada gibt! Dirk Becker
Dirk Becker
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