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Clutch im Waschhaus: Zeitreise in die Gegenwart
Die US-amerikanische Band Clutch magnetisierte das Publikum mit ihrem zeitlosem Rock im ausverkauften Waschhaus.
Stand:
Was haben Black Sabbath, Jimi Hendrix und Konsorten damals nur angestellt, als den traditionellen Blues- und Folkmusik-Spielarten ein brachialeres Gesicht aufgesetzt wurde? Mehr noch: Wie konnte sich das lautstarke Zusammenspiel zwischen elektrisch verstärkter Gitarre und drängendem Schlagzeug über Jahrzehnte so fest im Sattel halten, dass selbst die den Erfindern nachfolgenden Generationen mit gleichermaßen frenetischer Begeisterung einer Musik huldigen, die beinahe zeitlos geworden ist?
Die US-Amerikaner Clutch, die witzigerweise aus einer Stadt namens Germantown im Bundesstaat Maryland kommen, drängen sich als Beispiel für diese Erörterung förmlich auf. Die von „Clutch“ zelebrierte Hochzeit aus Blues und dem jüngeren Stonerrock ist bis zur Perfektion ausgereizt, gleichermaßen brachial wie filigran - eine Musikart, die ausschließlich laut funktioniert. Clutch haben es eigentlich gar nicht mehr nötig, kleine Klubkonzerte zu geben, das vergangene Wochenende führte sie noch auf das Großevent „Rock im Park". Warum sie es dennoch tun? Weil die schweißnasse Atmosphäre des geschlossenen Raumes eben immer noch am besten funktioniert, wie am Montag im Waschhaus beeindruckend zu erleben war.
Man muss dem Veranstalterteam vom Waschhaus natürlich auch anerkennend auf die Schultern klopfen, so etwas wie Clutch bekommt man in Potsdam nämlich nicht alle Tage serviert. Und auch die Band freute sich aufrichtig, während sie sich mit einem ordentlich in die Breite gehenden Dampfwalzenblues bedankte: krachiger Rock mit Elementen, die eigentlich schon längst überholt sein müssten, aber irgendwie doch der Zeitlosigkeit übereignet wurden. Nun gilt Maryland bereits als die heimliche Wiege der härteren Gangart, ganz besonders metallischer Spielarten wie Doom, aber auch brachialere Bands wie Dying Fetus brachen von Maryland aus, wo auch jährlich das berüchtigte „Maryland DeathFest“ stattfindet, in die Welt auf. Auch an Clutch sind diese Einflüsse natürlich nicht spurlos vorbeigegangen: eine bisweilen fatal anmutende Reinkarnation der Siebziger.
Dabei scheint die Band nur aus dem Sänger zu bestehen, ein geborener Entertainer, der mit seinem Vollbart und seinen ausladenden Bewegungen beinahe bedrohlich wirkt - überhaupt schienen Vollbärte an diesem Abend die Eintrittskarten zu ersetzen. Neil Fallon, das unbestrittene Zentrum der Band, wirbelte dabei wie ein Derwisch über die Bühne und drückte durch seine Präsenz die Instrumentalisten zumindest optisch an den Rand – was diese aber nicht zu stören schien. Und irgendwie schraubte der aufgeputschte Südstaatenblues in seiner Gewaltigkeit den Testosteronspiegel gewaltig nach oben. Zeitweise drückte das Quartett den Deckel zurück auf den Schnellkochtopf und schleppte sich mehr in die Breite – aber sobald man denkt, dass Clutch sich in verspielten Improvisationen verfrickeln – zack, schon sind sie wieder da. Dennoch, die Amerikaner ließen sich Zeit, waren sich bewusst, dass die Anwesenden nach dem Klassiker gierten: Und als „Electric Worry" sich von der Bühne aus ins Publikum ergoss, war der Augenblick gekommen, an dem die Anwesenden – „Bang, bang, bang, bang!" – lauter waren als die Band. Genial.
Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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