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Kultur: Ziemlich laute Stille

Motion-Trio spielt mit Filmorchester Babelsberg

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Zum Auftakt schmettert das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der Leitung von Scott Lawton eine hymnische Fanfare. Dann stürmen drei schwarz gekleidete Burschen hervor und greifen sich drei bereit stehende, ziemlich große Ziehharmonikas. Beim ersten Mann glänzt ein Kahlkopf, der zweite zeigt Pferdeschwanz mit goldenen Engelslocken bis auf den Rücken, dazu Pausbacken, Ohrringe und Sonnenbrille. Bloß der Musiker in der Mitte sieht ziemlich unauffällig aus, ein Jüngling mit kurzen, dunklen Locken. Das düster-unangepasst wirkende Erscheinungsbild gehört zum Image des polnischen Motion-Trios.

Nach dem großen Erfolg der drei Akkordeonisten bei ihrem ersten Auftritt konzipierte der Nikolaisaal mit dem Filmorchester ein Programm, das den Nerv des Publikums ungewöhnlich gut getroffen hat. Dafür arrangierte Krzesimir Debski, der bekannteste Filmkomponist Polens, die Erfolgstitel des Trios für das Spiel mit dem Filmorchester. Dem Sog der so entstandenen exzessiv peitschenden Klangorgien im ausverkauften Nikolaisaal kann sich am Freitag kaum einer entziehen. Minimalistische Klangmuster, ostinater Rhythmus und chromatische Steigerungen versetzen das „Space Caroussel“ in heftige Wirbel, bis diesem Exzess endlich wilde Trommelwirbel auf den entfremdeten Akkordeons ein aufrüttelndes Finale bereiten. Man fragte sich, wie wohl das nächste Stück mit dem Titel „Silence“ klingen mochte.

Wie erwartet, zeigte sich auch hier die Neigung zu quasi mechanischem Antrieb mit obligatem An- und Abschwellen der Lautstärke und ergab eine ziemlich laute Stille. An die wilde Landschaft der Hohen Tatra erinnert das bekannte Stück „Orawa“ von Wojciech Kilar, einem renommierten Komponisten der polnischen Moderne. Mit archaischen Harmonien und ineinander verzahnten Rhythmen, die wie auf Fließbändern unerbittlich vorwärts treiben, besitzt „Orawa“ auch in der Version für drei Akkordeons großen Reiz.

Mit seinem virtuos-motorischen Tasten-Tanz füllt das „Motion Trio“ eine bisher offene musikalische Lücke. Janusz Woitarowicz, Pawel Baranek und Marcin Galazyn, die auf „Quetschkommoden“aus der berühmten italienischen Werkstatt Piccini spielen, haben eine erfolgreiche Revolution am Blasebalg begründet.

Ein kleiner Rettungshubschrauber ist der „Helicopter“ nun nicht gerade. Da schwirrt gleich eine ganze Armada von Kampfhubschraubern durch die Luft und feuert mächtige Salven in Form von Bläser-Riffs und Paukenschlägen ab – musikalisch freigesetzte Testosteron- und Adrenalinstöße. Eine volle Dröhnung aus Akkordeonfluten und Streicherwogen geht aus „The Heart“ hernieder.

Dass der „erste Frühlingstag“ kein luftiges Säuseln sein würde, war auch ziemlich klar. Nach einem berechnet wirkenden, effektvollen Glissando bis in höchste Geigentöne, platzten die Knospen in synkopierten Rhythmen wie aus Pistolen auf, bis sie ein kräftiger Frühlingssturm auf schwarzweißen Tasten und Knöpfen durcheinander tanzen ließ. Alle Stücke des virtuosen Trios zeichneten sich durch wild stampfenden, motorisch antreibenden Rhythmus aus. Manches Mal klopfte der mittlere Mann gar so mit der Hand auf das Mikrofon, dass aus dem Saal scheinbar eine dumpf vibrierende, betäubend laute Maschine wurde.

Juchzer klangen bei den ersten Takten der DDR-Hymne aus dem Publikum und wandelten sich in pure Begeisterung, als daraus ein „Yellow Trabant“ wurde. Ruckhaft zuckend setzte sich das Vehikel in Bewegung, um dann ungewöhnlich schnell und schnittig in fröhlichem Dur über die schnurgerade Autobahn zu rasen. Das Konzert des Motion Trios mit dem Filmorchester Babelsberg war zwar nichts für zartbesaitete Gemüter, doch der große Erfolg mit drei Zugaben spricht für sich.

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