Kultur: Ziemlich ungefähr
Barbara Kusters „Ich singe zurück“-Premiere
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Herr Beckers im braungestreiften Anzug und mit dem Head-Set vorm Gesicht kommt auf die Bühne und macht ein paar lockere Bemerkungen zum Publikum, das einem strengen Auswahlverfahren standgehalten habe. Nach „Verstand und Humor“ sei ausgesucht worden, biedert sich seine Erklärung für ein paar frei gebliebene Stühle an. Die so Geschmeichelten applaudieren testweise, die Sanftheit Ulrich Beckers, der als „Tastenfachkraft“ mehrmals unterwürfig wippt, wurde von einer im gleißenden Licht schreienden weiblichen Stimme aufgerüttelt. Diese Stimme ist so militärisch, wie eine weibliche Stimme es nur sein kann, und Barbara Kuster erscheint im schwarzen Streifenanzug mit Krawatte und kurz geschnittenem blonden Haar. Preußisch, militärisch, da will ihr keiner in die Parade fahren. Ihr Gesicht verliert immer mal wieder die preußische Härte und schneidet Fratzen, verliert sich in Grimassen, wenn sie über sich selbst und die ganze Welt lacht und kommandiert: „Ich tanze nur mit Disziplin". Sie versucht sich im Tango, beruhigt ihren willfährigen Partner, dass Abgetretenes wieder nachwachse und dass dieser Tanz doch dazu geeignet sei, herauszufinden, wie weit man den Partner bringen könne. „Treibt man’s zu weit, bleibt er liegen“.
Sie hat Glück mit Ulrich Beckers, der auf Geheiß die Namen weiß, die der Langbeinigen nicht über die Lippen kommen wollen, vor allem, wenn es sich um ellenlange Bezeichnungen von Straßen und Plätzen in „Bonnes Aires“ handelt. Zurück in Deutschland wird über die „Köhlers“ schwadroniert, die zum Kaffee nur noch die Nationalhymne hören, und die Freischaffende nimmt sich selbst auf den Arm, wenn sie ihre weinseligen Schwierigkeiten beichtet, die sie damit hat, dass „wir immer das tun, was wir wollen“. Selbst preußische Disziplin hilft nicht, wenn es um Ideen geht, und auch drei Flaschen Wein sind nicht immer das beste Rezept. Sie hat tief in die Klischeetaste gegriffen, die blonde Babelsbergerin, die nur bei der Lokalsatire („Potsdam City Limit“) auch inhaltlich auf die Höhe ihrer variationsreichen, vollen Stimme kommt. Schade, dass sie diese häufig nur in ironischer Brechung nutzt und dass nur die eingefleischten Fans über Gags vom Judas, der „auf ewig der Arsch sein wird“ oder vom „kotzenden Pferd“ lachen können, auch wenn die Comedy-Lady vor lauter Unbehagen selber kotzen muss. Dies geschieht während des Liedzyklus „zum Kotzen“, und weil das so schön frech ist, wird die arme Schubertsche Winterreise noch weiter malträtiert. Allerdings, und das rettet die Show teilweise, die Musik ist meistens gut und Barbara Kusters Stimme hat hohes wie tiefes Potenzial.
Wenn sie aber mit Ulrich Beckers ins „Heidiland“ reist oder um die bessere Herkunft konkurrieren muss, wird es schal und lau: Er sagt Mettbrötchen und gibt zu erkennen, dass er aus dem Westen ist, sie raunzt ihn an, dass er die Fleischmasse gefälligst Hackepeter zu nennen habe, er erinnert sich an selige Zeiten, in denen er den Kröten über die Straße half und sie hat Schwierigkeiten, die zehn Gebote der Jungpioniere zu erinnern. Auf gleichem Niveau wird global national klischiert: Die Briten sind unsauber, aber dank des preußischen Drills der Tochter putzen auch die ihr Klo, die Franzosen schieben die Baguette in den Ofen und „es war nicht alles schlecht bei uns“ muss auch noch kommen. Nein, es war nicht alles schlecht, was sie sagte und sang und was Beckers vollführte, aber ziemlich ungefähr und ziemlich viel Klischee. Zu viel. Schade. Dem Publikum hat’s trotzdem gefallen, auch wenn die Kuster es mehrmals zum Applaus auffordern musste. Aber am Ende schwammen dann alle gemeinsam in einer freundlichen Woge aus Blumen-und-Küsschen-zur-Premiere. Lore Bardens
Lore Bardens
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