Kultur: Zivilcourage
Zum 60. Todestag von Karl Heinrich Schäfer
Stand:
Zum 60. Todestag von Karl Heinrich Schäfer Karl Heinrich Schäfer war ein temperamentvoller Mann, und er machte aus seinen Überzeugungen nie ein Hehl. Das bestimmte seinen Lebensweg. Am 27. Juli 1871 geboren, wuchs er in einer protestantischen Familie im hessischen Wetter auf. Er studierte in Greifswald, Erlangen und Marburg evangelische Theologie. Nach dem theologischen Staatsexamen verspürte er wenig Neigung zum Pfarrberuf. Im Jahre 1898 übernahm er eine Hauslehrerstelle bei dem Bornstedter Pfarrer Dr. Pietschker, einem Schwiegersohn des Industriellen Werner von Siemens. Zu den fünf Kindern des Pfarrers gehörte der damals neunjährige Werner Alfred, der als Flugpionier und Weltrekordflieger 1911 einen frühen Tod finden sollte. Der junge Hauslehrer, der nebenher noch das Pfarrerexamen ablegte, konnte nicht ahnen, daß er einmal im benachbarten Potsdam als Reichsarchivrat seine größte Wirksamkeit entfalten würde. Statt sich nach einer festen Anstellung umzusehen, begann Schäfer 1899 in Marburg Geschichte und klassische Philologie zu studieren. Aber so wenig wie als Pfarrer sah er in einer Laufbahn als Gymnasiallehrer seine Berufung. Ihn faszinierte viel mehr die Erforschung des zu Unrecht als "finster" bezeichneten Mittelalters. Während seiner Tätigkeit am Kölner Stadtarchiv konvertierte Karl Heinrich Schäfer 1902 zum Katholizismus. Dieser Schritt führte zu seiner Entlassung aus dem Archivdienst. Finanziell mittellos, gelang es ihm, 1903 eine Anstellung am historischen Institut der Görresgesellschaft in Rom zu finden. Der Beginn des ersten Weltkrieg beendete jäh sein anerkanntes Wirken als Historiker in Rom. Er mußte das geliebte Italien verlassen. Der nunmehr Dreiundvierzigjahrige zog als Sanitätssoldat an die Front und erlebte die Schrecken des Krieges vor Verdun. Nach Kriegsende habilitierte sich Schäfer in Braunschweig. Inzwischen fünfzig Jahre alt und ohne Anstellung, nahm er 1920 dankbar eine Berufung an das neu gegründete Reichsarchiv auf dem Brauhausberg in Potsdam an, durfte er doch hoffen, daß er in der für ihre religiöse Toleranz bekannten einstigen Residenzstadt keinen Anfeindungen wegen seiner Konvertierung ausgesetzt sein würde. Als Reichsarchivrat konnte er nun endlich auch eine Familie und ein eigenes Heim in der "Lützelburg" gegenüber der Erlöserkirche gründen. Er heiratete die aus einer Industriellenfamilie stammende Barbara Marx, und bald wurde auch die Tochter Renate geboren. Der streitbare und originelle Historiker verfaßte in Potsdam die meisten seiner Werke. Sein besonderes Interesse galt der mittelalterlichen Kirchengeschichte Brandenburgs. Obwohl viele seiner Thesen bis heute unter den Wissenschaftlern umstritten sind, leistete er wertvolle Beiträge zur Aufhellung der Regionalgeschichte. Wegen kritischer Äußerungen zum Nationalsozialismus von Kollegen denunziert, mußte er noch vor Erreichen der Altersgrenze 1934 das Reichsarchiv verlassen. Er zog sich in sein Heim in der Meistersingerstraße zurück, wo er weiterhin wissenschaftlich arbeitete und Freunde empfing. Seine offenen Äußerungen und das Hören von ,,Feindsendern" wurden ihm zum Verhängnis. Eine Haushälterin denunzierte den 71jährigen. Am 14. Oktober 1942 wurde er verhaftet. Wegen ,,planmäßig organisierter Zersetzungsarbeit" verurteilte das Kammergericht Berlin ihn zu zwei und seine Frau zu anderthalb Jahren Haft. Nach Verbüßung seiner Strafe im Zuchthaus Luckau brachte die Gestapo den Schwerkranken ins KZ Sachsenhausen, wo er am 29. Januar 1945 starb.Sigrid Grabner
Sigrid Grabner
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: