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Eine gute Verkleidung macht noch keinen guten Schauspieler. Matthias Leupold (l.) und der Pianist Robert Schmidt.

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Kultur: Zu beliebiger Flachware gepresst

Musiker der Kammerakademie scheitern mit ihrem szenischen Konzert „Alles Tango“

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„Was soll nur aus dem armen Tango werden?“, hieß es am Freitag gleich zu Beginn im Foyer des Nikolaisaals. Angekündigt war ein tragikomischer Abend mit Tango-Evergreens und europäischer Tanzmusik, inklusive Stücke von Kurt Weill und Astor Piazzolla. Das klang anspruchsvoll, verlockend wohl auch, denn immerhin war der Raum mit interessierten Zuhörern vollständig ausgefüllt. Um die Eingangsfrage gleich zu beantworten: Nach diesem Abend muss man sich vielleicht wirklich Sorgen um den Tango machen. Trost gibt da nur der Gedanke, dass diese Aufführung wohl ein einmaliges Ereignis war.

Spiritus rector und Solist Matthias Leupold gehört zum Ensemble der Kammerakademie Potsdam und kultiviert seit vielen Jahren die Tangovioline. An diesem Abend stand er nicht nur schlicht als Geiger auf der Bühne, sondern auch als Schauspieler in der Rolle eines gockelhaften Starsolisten in einer Tangobar. So stand es auf einem rührenden kleinen Schild in Pink am Vorhang. Mit geschwärzten Brauen, rollendem R in der Aussprache und großen Gesten wirkte er wie ein ungelenker Schüler. Um ihn herum gruppierten sich Robert Schmidt am Klavier, Lars Burgner am Kontrabass sowie zwei Kollegen von der Kammerakademie Potsdam, Isabel Stegner, Violine, und Ralph Günther an der Viola.

Allesamt sind sie gestandene, professionelle Musiker, doch als Schauspieler in den Rollen eines fiktiven Quinteto Mancini agierten sie wie bei einer Schulaufführung. Rund um die Abfolge von Tangoliedern aus Vergangenheit und Gegenwart versuchten sie eine Geschichte zu erzählen. Für die haarsträubend seichten Kurztexte zeichnete Matthias Leupold verantwortlich. Da ging es um Geld, Proben, Animositäten zwischen den Musikern, Diebstahl und zuletzt gab es sogar einen kleinen Showdown mit Gangster und Revolverschuss, bei dem gleich zwei umkommen, der Pianist und der erste Geiger. Dazu erklang der Kriminaltango, was nun wirklich keinen überraschte. Dass die Dramaturgie der Musik folgte, wäre an sich kein Problem gewesen, wenn man etwas Spannendes oder Besonderes zu erzählen gehabt hätte. Es gab aber nur ein paar Klischees, Gags und zum Finale etwas Räuberpistole.

Vor allem die Wirkung der Musik wurde durch das alberne Spiel beeinträchtigt. Vor der Folie dieser misslungenen Posse wurden die an für sich schönen, dramatischen, expressiven, lebendigen Tangostücke zu beliebiger Flachware gepresst. Unpassender kann der Tango, welcher im Jahr 2009 zum Weltkulturerbe erhoben wurde und lebendiger ist als je zuvor, wohl kaum präsentiert werden. Auch fehlten zwei essenziell dazugehörende Elemente: Tangotanz und Tangopoesie. Da helfen weder das geschliffene Geigenspiel von Matthias Leupold noch die zackigen Akkorde und klingenden Läufe von Robert Schmidts Piano oder die groovenden Basstöne von Lars Burger. Klassiker wie El choclo, La cumparsita in Matthias Leupolds brillanter Soloversion und Stücke des Tango nuevo von Astor Piazzolla rollen routiniert hintereinander ab. Statt des angekündigten Kurt Weills erklingt etwas von den Rolling Stones, sogar Jimi Hendrix wird bemüht, aber das wirkt ebenso unbedarft wie die ganze Inszenierung (Regie: Henriette Sehmsdorf).

Ach, Geiger, wärst du doch bei deinen Saiten geblieben! Das wäre dir, dem Publikum und dem Tango viel besser bekommen. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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