Kultur: Zu Klang gewordene Visionen Nordische Schätze im Nikolaisaal-Konzert
Die neue Konzertreihe des Nikolaisaals „Klassik am Sonntag“ wende sich an „aufgeweckte Klassik-Freunde“. So stand es in der Programmbroschüre der Saison 2001/2002.
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Die neue Konzertreihe des Nikolaisaals „Klassik am Sonntag“ wende sich an „aufgeweckte Klassik-Freunde“. So stand es in der Programmbroschüre der Saison 2001/2002. Zum Start am 21. Oktober 2001 gab es ein „Divertimento“ mit dem Staatsorchester Frankfurt zu erleben. Sachkundig und unterhaltsam wurde es von Clemens Goldberg moderiert, wie auch am diesjährigen 28. Oktober im Nikolaisaal. Nun also feiere die Reihe ihr zehnjähriges Jubiläum, war zu lesen. Doch warum so bescheiden: Es sind bereits elf Jahre! Eigentlich auch ein Jubiläum, wenngleich ein schnapszahliges. Der diesmalige Saisonauftakt hält einen Dreiklang aus Mythos, Natur und Musik als „Schätze des Nordens“ bereit. Die Brandenburger Symphoniker unter Michael Helmrath sind der sonntäglichen Klassikunternehmung erneut ein verlässlicher Partner.
Als ersten Schatz heben sie die Tondichtung „Finlandia“ von Jean Sibelius, die längst zur inoffiziellen Nationalhymne Finnlands geworden ist. Sie kündet mit aufbegehrendem Bläserchoral von zaristischer Fremdherrschaft, stärkt visionär erwachendes Nationalbewusstsein. Klangsatt und spannungsvoll wird musiziert: pathetisch, wo erforderlich, klagevoll, wo möglich, eindringlich von Anfang bis Ende. Ganz und gar pekuniären Lebenserhaltungsmaßnahmen hat Sibelius‘ „Suite mignonne“ ihr Entstehen zu verdanken. Die Brandenburger Musiker spielen die gefälligen und unterhaltsamen Handgelenksübungen federnd, anmutig, keck und graziös. Wesentlich gewichtiger zeigen sich dagegen Auszüge aus Sibelius‘ Bühnenmusik zu Arvid Järnefelts Drama „Kuolema“ (Der Tod), woraus der berühmte Valse triste zum weiteren Hit des Komponisten geworden ist. Klangschön singt er sein tieftrauriges Lied. Der Valse romantique atmet Wiener Charme, während elegische und ersterbende Klänge die „Szene mit Kranichen“ bestimmen. Die Canzonetta lässt Erinnerungen an die Jugendzeit wach werden. Ein klanggewordener Kreislauf von Werden und Vergehen.
Zum Superschatz des Abends gerät allerdings Edvard Griegs a-Moll-Klavierkonzert op. 16, das in Anlage und Tonart dem Schumannschen Opus gleicht. Außerordentlich zurückhaltend, fast schüchtern schreitet der Pianist Herbert Schuch zu seinem Arbeitsgerät, um – wie verwandelt – mit der Geste des Triumphators das berühmte Eingangsthema in die Tasten zu hämmern. Er setzt auf viel rechtes Pedal, auf dass es schön romantisch zusammenschwinge. Dann wieder kalkuliert er lyrische Linien voller Rein- und Klarheit. Ständige pianistische Kontrastwechsel, die vom Orchester hingebungsvoll im Lauten wie Leisen unterstützt werden. Schuchs treffsichere Finger vermögen zu streicheln, introvertierten Gedanken nachzuhängen, kratzbürstige Töne hervorzuzaubern, schnellläufig über die Tastatur zu eilen Das Adagio singt er als ein Klangpoem aus, um das finale Allegro rhythmisch prononciert erklingen zu lassen. Für den stürmischen Beifall bedankt sich der analytische Tastentänzer mit Liszts fingerbrecherischen Trillervariationen über die Paganini-Etüde „La campanella“. Zum Schluss der Schätzeentdeckungen gibt es den Huldigungsmarsch aus Griegs Bühnenmusik zu Bjørnsons „Sigurd Jorsalfar“, ein vor Pomp und Pathos nur so triefender Schmachtfetzen, der die Heimkehr des Kreuzfahrers Sigurd feiert und per harfenumspielter Vision von der Einigkeit zweier zerstrittener Brüder kündet.
Peter Buske
Peter Buske
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